Kreativlosigkeit

Bei Gesprächen mit Softwareentwicklern ist man sich in der Regel schnell einig: Software-Entwicklung ist im Kern eine sehr kreative Aufgabe. Logische Schlussfolgerung: für deren Erledigung braucht man kreative Köpfe. Umso erstaunter bin ich, mit welcher Kreativlosigkeit viele Kollegen aus der Software-Entwicklung mit der Lösung von (nicht direkt technischen) Problemen umgehen.

Ein immer wiederkehrendes Problem: Wir haben wenig Zeit für all das, was wir wollen. Entwickler wie Product Owner stehen meist vor der Herausforderung, (zu) wenig Zeit für die Umsetzung der Fülle von Anforderungen bei hoch gesteckten Qualitätsanforderungen zu haben. Genau auf dieser Spielwiese wird ein hohes Maß an Kreativität gefordert.

Ja, dieses Probleme wird verschärft durch „Nicht-Techniker“ (Kunden zum Beispiel), für die es schwer ist einzuschätzen, wie aufwändig etwas wird. Diese Nicht-Techniker haben keinen Einblick in die Software, wissen nicht um Altlasten im Code, unvorhergesehene Abhängigkeiten und vieles mehr. Sie wollen mehr als vielleicht möglich erscheint. Eine gewisse Akzeptanz für Aufwände von Dingen und der Respekt vor dem Wissen von Experten halte ich durchaus für sehr wichtig – alleine schon für einen guten Umgang auf Augenhöhe. Wofür ich aber immer weniger Verständnis habe, das ist die fehlende Kreativität bei der Lösung des Dilemmas der fehlenden Zeit für die vielen Wünsche.

Als einziger Hebel wird in Entwicklungsteams meist „mehr Zeit“ bzw. eine Reduktion des Umfangs gesehen. Das ist ein ebenso guter wie sehr offensichtlicher aber meistens auch beschränkter Hebel, der die Kreativität des Product Owners fordert. Erlebt habe ich sehr kreative Produktverantwortliche, die – vor allem wenn sie selbst einen technischen Background hatten – ein hohes Verständnis für ihre Entwickler-Kollegen haben und versuchen, den Druck rauszunehmen und trotz Reduktion des Umfangs ein gutes Produkt abzuliefern.

Das umgekehrte Verständnis bei Entwicklern, dass ein Product Owner Druck von Kunden und Stakeholdern hat und ihm manchmal oder irgendwann Ideen ausgehen, Anforderungen weiter zu reduzieren, erlebe ich viel seltener.

Ebenso selten erlebe ich eine wirkliche Kreativität bei der Lösung dieses Problems auf Entwicklerseite. Zu oft werden Aufwände als „gegeben“ hingenommen, als unumstößlicher Fakt – mit mehr oder weniger großem Zähneknirschen auf Seite der Entwickler und zwangsläufig dann auch auf der Seite des Produktverantwortlichen. Die Bereitschaft, sich über reine Coding- und Umfangs-Themen Gedanken zu machen, nach Wegen zu Suchen um ohne Verzicht auf Qualität auch entwicklungsseitig zu „mehr Output“ in „weniger Zeit“ zu kommen, erlebe ich kaum.

Wo ist sie also, die Kreativität bei den Entwicklern? Welche Ideen gibt es auf Seite der Softwareentwicklung und ihrer Prozesse selbst, die Aufwände in der Entwicklung zu reduzieren zum Beispiel indem man die Zusammenarbeit optimiert? Klar, solche Schritte haben selten einen kurzfristigen Effekt, sondern führen wahrscheinlich eher nachhaltig zum Ziel. Aber wer geht diesen Weg, wer sorgt dafür, wer ist kreativ genug, wer wird hier aktiv?

Es gibt sie, diese Kollegen, die auch zur Lösung dieses immer wiederkehrenden Dilemmas in individuellem Umfeld kreative Ideen beisteuern. Ihnen geht es nicht immer um die technisch beste Lösung, sondern um die bestmögliche Lösung in den bekannten zeitlichen Rahmenbedingungen. Sie melden sich pro aktiv mit kreativen Ideen bevor es an die Umsetzung geht vor allem, wenn sie Schwierigkeiten sehen, in der zur Verfügung stehenden Zeit als Team eine adäquate Lösung zu liefern.

Es ist eine Frage von Erfahrung und Professionalität, sich kompromissbereit in dem Spannungsfeld zwischen wenig Zeit und hohen Anforderungen zu bewegen, dabei die besten Lösungen für den Kunden zu suchen und zu finden.

Das sind für mich “Professionals” – nicht nur Experten auf ihrem technischen Gebiet und fantastische Coding-Maschinen – sondern kreative Lösungslieferanten, die immer auch Team, Termine, Produkt und Kunde im Auge behalten.

 

Ergänzend: Alexandra Mesmer von der Computerwoche ist sich sicher, dass Kreativität der beste Kündigungsschutz ist.

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