Rückblick

Gefühl und Wirklichkeit

Es gibt viele Gründe, warum Agilität scheitert. Aber scheitert der Wandel zu agilen Arbeitsweisen hin zu einer agilen Organisation wirklich? Ist es nicht manchmal nur das Gefühl, dass Agilität scheitert, dass keine Veränderung stattfindet und alles beim Alten bleibt?

Es geht nicht voran

Wer sich intensiv mit Agilität, dem Wandel hin zu neuen Geschäftsmodellen und neuen Arten der Zusammenarbeit beschäftigt, erlebt das immer wieder.  Wir erleben, wie konsequent Agilität mit Flexibilität gleichgesetzt oder mit Scrum verwechselt wird, wie es Menschen schwer fällt, sich auf etwas Neues einzulassen oder wie das Sparen an der falschen Stelle und eine falsche Dimensionierung von Maßnahmen ebenso zu Irritationen führen, wie unterschiedliche Kulturen und unterschiedliche Führungsstile. Das sind so viele unterschiedliche Herausforderungen, die häufig nicht nur singulär auftreten.

Es geht nicht voran. Immer wieder erlebe ich genau dieses Gefühl bei mir und teile dieses Gefühl mit anderen Menschen, die nicht nur eine Vision einer neuen Art der Zusammenarbeit haben, sondern die aktiv am Wandel arbeiten.

Dazu will ich eine kurze Geschichte erzählen aus meiner aktuellen Situation.

Zur Zeit stehe ich kurz vor dem Wechsel zu einem neuen Arbeitgeber. Aus verschiedenen Gründen habe ich mich dazu entschieden. Neben großartigen Möglichkeiten, die ich bei meinem neuen Arbeitgeber wahrnehme und erwarte habe ich mir auch die Frage gestellt, was ich mit viel Einsatz und Energie bei meinem aktuellen Arbeitgeber erreicht habe. Dabei machte sich eine gewisse Frustration breit. Manche Themen wurden immer und immer wieder diskutiert, ausprobiert, angegangen und bearbeitet ohne einen Fortschritt zu spüren. Manche Haltung, Ideen, Werte und Arbeitsweisen waren für mich längst selbstverständlich und je länger ich in dieser Selbstverständlichkeit unterwegs war, um so unverständlicher wurde mir, warum Menschen um mich herum eine ganz andere Wirklichkeit zu haben schienen.

Dann habe ich etwas für mich Wichtiges gelernt. Aber zunächst noch eine Rückschau auf eine weitere Erfahrung, die ich privat vor einigen Jahren gemacht habe:

Erkenntnisse aus einem Tool Konzert

Vor vielen Jahren war ich mal bei einem Konzert der Band Tool. (Einschub: Fans der Band wissen, dass es schon ziemlich lange her sein muss, weil die Band schon seit vielen Jahren nicht mehr in Europa war.)  Es war nicht mein Erstes und fand in einer Halle statt, in der ich problemlos direkt vor die Bühne gehen konnte, um direkt vor Gitarrist Adam Jones zu stehen. Im unteren Video ist das der nahezu regungslose Musiker links. Sänger Maynard J. Keenan blieb erhöht aber im Hintergrund dauerhaft verdunkelt auf Abstand, wie man es im Video auch erahnen kann.

Die vergangenen Konzerte waren alle großartige Erlebnisse für mich und ich freute mich auf die Möglichkeit, einmal weit vorne stehen zu können, direkter im Geschehen. Und dann die Ernüchterung: Dieses Konzert wurde zum schlechtesten der Band, das ich erlebt habe. Ich war drauf und dran, die Karten für eine weiteres Konzert der Tour von Tool zu verkaufen. Zum Glück entschied ich mich dagegen und stand bei meinem zweiten Konzertbesuch der Tour ohne große Erwartungen irgendwo weit hinten herum. Die Überraschung: Das wiederum wurde zu einem der besten Konzerte der Band. Wie kann das sein?

Die Antwort ist einfach. Tool-Konzerte entfalten ihre Wirkung im Zusammenspiel aus Musikern, Sänger, Lichteffekten und Videoprojektionen. Das Gesamtbild aus den Sinnen “Sehen” und “Hören” macht das Erlebnis aus.

Gesamtbild im Blick?

Kennt du das? Du sitzt zu nah vor einem Fernseher mit einer nicht optimalen Auflösung und siehst jedes einzelne Pixel? Oder du stehst zu nah vor einem gemalten Kunstwerk, siehst jeden Pinselzug, aber kannst den Gesamtkontext nicht erkennen? Oder du sitzt in einem Kino in der ersten Reihe und musst ständig den Kopf bewegen, um den gesamten Film erfassen zu können? Kennst du das, wenn du zu nah an etwas dran bist und damit das Gesamtbild aus dem Blick verlierst? So ging es mir.

 

Und was hat das mit dem Thema “Gefühl und Wirklichkeit” zu tun?

Rückblick für Klarheit

Im September 2017 haben wir die Agile Rhein Main User Group eingeladen zu einem User Group Treffen. Hierbei haben wir Einblicke in die letzten knapp 4 Jahre agiler Transition des Unternehmens gegeben, die ich maßgeblich verantwortet, begleitet und unterstützt habe. In der Vorbereitung mit den Kollegen haben wir betrachtet, welche Schritte wir in den letzten Jahren gegangen sind, was wir ausprobiert, eingeführt, weiterentwickelt oder wieder verworfen haben und auch, welchen Einfluss diese Dinge auf die Situation des Unternehmens und die aktuelle Art der Zusammenarbeit haben.

DTO Agile Landscape

DTO Agile Landscape (sketched by Annika Sötje)

Milch im Kaffee

Wenn man bei dem Bild von Niels Pfläging zu organisatorischer Veränderung von “Milch in Kaffee” bleibt (“Change ist so wie Milch in Kaffee geben“) könnte man auch sagen: Als Vertreter der neuen Welt sieht man zu häufig die weiße Milch, die man sich als Zielbild vorstellt und die man selbst und andere in den Kaffee gießen. Sobald sie in den Kaffee fließt, verliert sie ihre Farbe und wird direkt braun. Ein schlagartiger Wandel von braun zu weiß wird nicht passieren. Es wird auch nicht einzelne Bereiche geben, die weiß bleiben. Kaffee mit Milch zusammen wird immer ein mehr oder weniger braunes Getränk bleiben, das schneller oder langsamer heller wird oder dunkler bleibt, je nachdem wie viel Milch in welcher Geschwindigkeit in den Kaffee gegossen wird.

Rückblick mit Abstand

Auch ohne jetzt auf die einzelnen Maßnahmen, Schritte und Veränderungen einzugehen: Dieser Schritt heraus aus der der aktuellen Arbeit, dieser Schritt zurück und der gemeinsame Blick im Team auf einen größeren Zeitabschnitt mit mehr Abstand hat mir sehr geholfen.

Der Abstand gab den Blick frei auf das, was gelungen ist und welche Maßnahmen ganz im Sinne von “Milch in den Kaffee gießen” eine Veränderung erzielt haben, dem Kaffee eine neue Farbe gegeben haben, auch wenn er nicht weiß geworden ist.

 

In dem Sinne bin ich sehr dankbar für jeden Tag der mehr als drei Jahre, für alle Kollegen, Gespräche, Experimente, Ideen, Maßnahmen, auch für den Austausch, den Ärger hier und da, Unverständnis und Erkenntnis. Ich habe viel gelernt und gemeinsam mit den Kollegen konnten wir einiges bewegen. Um so mehr freue ich mich, dass einige Kollegen zu Freunden wurden und dass ich mir sicher sein kann, dass wir weiter in Kontakt bleiben auch um den weiteren Weg des Unternehmens – wenn auch aus der Ferne – betrachten zu können.

Werbeblock: Und wer eine Reise unternehmen möchte, dem kann ich die E-Commerce Portale von  Dertour, ADAC Reisen, DER.com, Jahn Reisen, ITS, Rewe Reisen, Penny Reisen oder Meiers Weltreisen ebenso ans Herz legen, wie die mehr als 500 Reisebüros des mittlerweile 100 Jahre alten DER.

(Das verwendete Bild ist von Rachel Johnson – Vielen Dank!)

2 Comments

Leave a Comment
  1. Lieber Daniel,

    vielleicht liegt das Dilemma zum Teil noch tiefer. Menschen wie du, organisieren den Wandel nicht, sie sind vielmehr der Wandel. Ganz im Sinne eines nachhaltigen Verständnisses von Veränderung: “Be the change that you want to see”.

    Anders formuliert, du stehst nicht vorne oder hinten im Publikum, sondern mitten auf der Bühne. Du gibst dein Bestes und kannst am Ende eben nur genau dafür die Verantwortungen übernehmen und auf dich und deine Haltung vertrauen.

    In diesem Sinne, alles Gute im neuen Job.

    Stay SOBER,
    Thomas

Schreibe einen Kommentar zu Thomas Grünewald Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert