Scrum motiviert nicht

Immer wieder höre ich Menschen um mich herum sagen, dass Scrum viel mehr motiviert als klassisches Vorgehen. Dass Agilität motivierender sei. Ich selbst habe das lange gesagt und vertreten. Mit mehr Erfahrung stelle ich fest, dass das Quatsch ist. Weder Scrum noch Agilität motivieren. Dazu habe ich zu viele Menschen erlebt, die im agilen Umfeld nach Scrum (oder Kanban oder ScrumBan) gearbeitet haben, und alles andere als motiviert waren.

Dargestellt wird das Arbeiten mit Scrum anders. Und auch Agilität wird für viele zum vermeintlichen Heilsbringer: Im Land der agilen Glückseligkeit arbeiten alle Menschen kooperativ zusammen, sind hochgradig motiviert und Misserfolge erzeugen keine Schwierigkeiten, weil daraus gelernt werden kann. Hip Hip Hurra, alles ist super, alles ist wunderbar.

Ein Teil der Realität

Wie viele Menschen erlebe ich gelangweilt und desinteressiert in Planungsmeetings, schweigsam in Retrospektiven? Wie viele Teams erlebe ich, die sich von Sprint zu Sprint hetzen und jedes mal ihre Pläne nicht schaffen? Die dann mindestens dem Product Owner gegenüber Rede und Antwort stehen müssen, warum schon wieder so wenig fertig geworden ist? Und die froh sind, dass sie nicht dem Auftraggeber oder gar Kunden gegenüber stehen müssen? Wie viele Menschen erlebe ich, von denen gerade in einer agilen Arbeitsumgebung meist arbeitend mit Scrum Dinge gefordert werden, die sie nicht erfüllen können, ganz transparent und für alle offensichtlich?

Dann kommt der Scrum Master auf den Plan, der dem Product Owner eintrichtert, dass er Verständnis haben müsse, dass es Gründe gäbe für den geringen Lieferumfang jeden Sprint und dass es seine Aufgabe sei, das mit den Stakeholdern zu klären. Und der dem Team erklärt, dass sie daran arbeiten müssen, besser zu werden. Und er versucht, das gesamte Team irgendwo hin zu coachen. Überall wird gezogen, geschoben, diskutiert und der Frust über nicht erfüllte Erwartungen an allen Ecken und Enden steigt. Ein Umfeld, in dem keine Spur von Motivation und Begeisterung zu spüren ist. Das Gefühl, gemeinsam Großes zu vollbringen fehlt völlig. Da können die Menschen noch so sehr versuchen, sich gegenseitig zu motivieren.

Ist dann einfach nur Scrum nicht die richtige Wahl? Scrum ist nicht das Problem. Auch Agilität und agiles Arbeiten sind nicht motivierend. Wie sollte es das auch sein? Nehmen wir die recht allgemein gültigen Prinzipien von Modern Agile: “Macht Menschen genial, liefert fortlaufend Wertvolles aus, macht Sicherheit zur Grundvoraussetzung, experimentiert und lernt zügig.” Überall geht es um Geschwindigkeit, Genialität, selber machen. Das geht einher mit hoher Verantwortung und einem gehörigen Druck immer mehr zu liefern und zu leisten. Und all das braucht auch noch Sicherheit als Grundvoraussetzung, die weder die Prinzipien von Modern Agile, noch Frameworks wie Scrum einfach so mitbringen.

Der Punkt ist: Neue Arbeitsweisen und Prinzipien in der Zusammenarbeit erzeugen an sich keine Motivation. Und man kann Menschen weder so, noch irgendwie anders motivieren, auch nicht durch veränderte Modelle der Zusammenarbeit. Motivation geht immer vom Menschen selbst aus und was Menschen letztendlich motiviert, ist im Detail sehr individuell.

Was man tun kann

Was man tun kann? Ein Arbeitsumfeld schaffen, in dem alle Dinge abgeschafft wurden, die Menschen demotivieren. Auch wenn die Motivation individuell ist und aus den Menschen selbst kommt, gibt es im Arbeitsumfeld überraschend viele Dinge, die grundsätzlich demotivieren. Und hier kommen Kernelemente von Agilität und auch von Scrum zum Tragen: Kontinuierliches Verbessern durch ein ständiges Überprüfen und Anpassen. Ja, die Prinzipien in Modern Agile fordern das und Review und Retrospektiven aus Scrum sind genau diese Meetings. Es sind aber die Menschen, die diesen Prinzipien folgen und aus den Terminen etwas Wertvolles machen. Es ist nicht Scrum, das motiviert und es ist auch nicht Agilität. Es sind die Menschen selbst, die sich motivieren, oder eben nicht.

Was Menschen wirklich motiviert, das hat Autor Daniel Pink gut auf den Punkt gebracht: Autonomie, Könnerschaft und Sinn. Es geht um möglichst unabhängige, selbstständige und eigenverantwortliche gute Entscheidungen, die dem jeweiligen Menschen individuell sinnvoll erscheinen.

Wenn ich mich selbst betrachte, dann haben diese drei Punkte auch einen wesentlichen Anteil daran, ob ich das Gefühl habe, persönlich erfolgreich zu sein. Und dieses Gefühl motiviert mich zusätzlich. Misserfolge lassen mich lernen, wie ich in einem nächsten Schritt erfolgreicher sein kann, zu viele Misserfolge demotivieren mich, bis ich manche Themen irgendwann aufgebe.

Es geht um ein Umfeld, in dem Menschen eigenverantwortlich möglichst unabhängig entscheiden können, in dem sie in der Lage sind, die notwendigen Aufgaben zu erledigen, die sie persönlich für sinnvoll erachten und in dem sie in Summe selbst das Gefühl haben, wirksam und erfolgreich zu sein.

Wie können Agilität und Scrum helfen?

Natürlich kann ein agiles Arbeitsumfeld zum Beispiel beim Arbeiten mit Scrum helfen.

Autonomie

Die für motivierte Menschen notwendige Autonomie ergibt sich in Scrum durch die geringe Anzahl an definierten Regeln und Rollen. Die Menschen definieren selbst, welche Aufgaben sie erledigen und übernehmen wollen, um ein definiertes Ziel zu erreichen. Teilweise definieren sie auch das Ziel selbst eigenständig oder zumindest gemeinsam. Sie beschäftigen sich mit ihrem persönlichen Beitrag zum Produkt oder Ziel des Teams. Und sie gestalten ihre Arbeitsumgebung mit, definieren die Prinzipien und Regeln der Zusammenarbeit. Es gibt keine Vorschriften, wer was wann und wie übernimmt. Natürlich gibt es auch bei Arbeiten mit Scrum Rahmenbedingungen, die nicht beeinflussbar sind, nicht verändert werden können – je größer der Spielraum ist, um so größer ist die Möglichkeit für autonome Entscheidungen motivierter Menschen. Und gleichzeitig gilt hier: Mit hoher Autonomie geht ein hohes Maß an Verantwortung einher.

Könnerschaft

Könnerschaft ist nötig, um gute Ergebnisse zu liefern. Wissen reicht nicht aus. Können ist mehr als das. Die Autonomie selbst zu entscheiden, welchen Beitrag man wie zum Ergebnis leistet, beinhaltet auch die Freiheit die Dinge zu tun, die man selbst gut erledigen kann. Über das regelmäßige Überprüfen und Anpassen wird deutlich, in welchen Bereichen Könnerschaft fehlt und wer am Besten geeignet und/oder willens ist, diese Könnerschaft aufzubauen. Das bedeutet auch, dass ein kontinuierliches Lernen und Üben der Dinge, die man noch nicht ausreichend beherrscht, nicht nur notwendig für das Ergebnis, sondern auch für die Motivation der Menschen ist.

Sinn

Persönlich einen Sinn in dem zu sehen, was man tut, wird auch durch die Autonomie unterstützt. Sinnvoll erscheinen uns unter anderem Dinge, die wir können und wir eignen uns Dinge an, die in denen wir einen Sinn sehen. Und wir übernehmen Dinge und engagieren uns in Aufgaben, in denen wir persönlich einen Sinn sehen. Da Menschen im agilen Arbeiten und damit auch im Framework Scrum selbst entscheiden können, wie sie an einem Ergebnis arbeiten und was sie dafür tun, besteht auch die Möglichkeit, einen sinnvollen Weg zu gehen.

Wirksamkeit und Erfolg

Während für Autonomie, Könnerschaft und Sinn vor allem der Freiraum für Eigenverantwortung und Selbstorganisation aus agilem Arbeiten in Frameworks wie Scrum hilfreich ist, ist es das inkrementelle und iterative Arbeiten mit frühen Ergebnissen maßgeblich für das Gefühl von Wirksamkeit und Erfolg. Die schnelle Rückmeldung und das Erleben, dass kleine Teilschritte erreicht und erfolgreich abgeliefert werden, sorgen zusätzlich für ein motivierendes Arbeitsumfeld.

Es sind die Menschen

Weder Scrum noch Agilität stellen das oben Beschriebene sicher. Beides bietet nur den Rahmen und ermöglicht ein Arbeiten in einem motivierenden Umfeld. Dabei ist aber weder Scrum noch Agilität per se dieses motivierende Umfeld. Es sind die Menschen, die aus diesen Prinzipien und rahmengebenden Elementen ein Umfeld machen, in dem Menschen ihre eigene Motivation entwickeln und aufrecht erhalten und Spitzenteams entstehen lassen können.

Es reicht nicht auszurufen, dass man jetzt agil arbeiten will. Auch eine agile Transformation stellt das nicht pauschal sicher und die Einführung von (beispielsweise) Scrum ist nur ein Angebot, eine Möglichkeit. Was die Menschen aus diesen neuen Prinzipien und mit möglichen neuen Regeln der Zusammenarbeit machen, das liegt bei ihnen. Was Menschen aus den Möglichkeiten für sich und für andere machen und wie sie sich individuell und ganz persönlich weiter entwickeln, das müssen sie selbst ganz eigenverantwortlich entscheiden und das werden sie tun, abhängig vom Umfeld, in dem sie sich befinden – und zwar auf eine Art, die sich für sie selbst passend und richtig anfühlt.

(Das Bild ist von Alexander Müller – Vielen Dank!)

4 Comments

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  1. Das Problem ist doch …

    – Es wird zu ungenau geplant und zu ungenau geschätzt, wie lange etwas dauert.
    – Falsche Schätzungen werden nicht retospektiv analysiert

    Früher hat man so kalkuliert: 40% Planung – 20% Implementierung – 40% Test und Nacharbeiten. Sprich: Entwickler-Schätzung mal 5.

    Wer die 40% Planung und Analyse verkürzt, dem fällt es wieder auf die Füsse. Man kann durch Wegwerf-Code auch Teile der Planung leisten, man muss es dann halt auch wegwerfen. Lustig ist das dann aber nicht wirklich.

    Oft sind die Entscheider keine ausgebildeten Informatiker. Dieser Aspekt wird eigentlich nie besprochen, warum? “Programmieren kann ja jeder schnell lernen, ist ja nicht so schwer.” Sieht man ja an den VBAs für Excel. Stimmts?

    1. Was hat die Motivation von Menschen mit dem Thema Schätzungen zu tun? (Mal abgesehen davon, dass man sich über den Wert von Schätzungen per se streiten kann.)

      https://www.inspectandadapt.de/schaetzungen-muss-das-denn-sein/
      https://www.inspectandadapt.de/agile-schaetzung-fuer-angebote/

      Hinzu kommt, dass weder Scrum, noch Motivation, noch Schätzung etwas ist, das nur mit Software Entwicklung zu tun hat. Insofern verstehe ich den Zusammenhang des Kommentars zum Thema, dass Scrum und Agilität nicht motivieren, noch nicht.

  2. Dieser Artikel spricht mir aus dem Herzen.
    Viele KollegInnen haben bisher auch schon “agil” gearbeitet und Entscheidungen eigenverantwortlich getroffen…..die sind auch dabei, ohne “scrum” gelernt zu haben.
    Wenn agiles Arbeiten nicht auf Freiwilligkeit beruht, ist das oft nicht hilfreich für die, die wirklich engagiert dabei sind.

  3. Hej Daniel,

    ich halte diesen Artikel für treffend – fast schon überfällig. Sehr gut erkannt und formuliert. Auch dass Du das Wort “Quatsch” verwendest, kommt für mich sehr gut und weniger abgehoben rüber als andere Artikel, die ich von Dir gelesen habe. Finde ich ausgezeichnet!

    Mit dem Begriff “Könnerschaft” habe ich ein kleines Problem. Eine bessere Alternative habe ich (spontan) aber auch nicht zu bieten. Sehe ich es denn richtig, dass Du damit mitunter eine Situation beschreibst, in der wir unser gelerntes Handwerk und Wissen ohne Über- und Unterforderung – inkl. Transferleistungen – einsetzen können?

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