Steinskulptur vor Wald und Wolken

Ich bin lieber nicht verantwortlich

Im Leben spielt das Thema Verantwortung eine große Rolle und viele Menschen haben sich intensiv damit auseinander gesetzt. Im Entwicklungsprozess von Kind zu Erwachsenem steigt die Verantwortung, Babies werden für ihr Handeln gar nicht, Kinder ein bisschen, Jugendliche etwas mehr und Erwachsene voll verantwortlich gemacht. Menschen übernehmen freiwillig Verantwortung oder bekommen diese zugesprochen und Unternehmen müssen Verantwortung für Gesellschaft, ihre Mitarbeitenden und die Umwelt übernehmen und häufig ist die Höhe von Gehalt auch an den Grad der Verantwortung gekoppelt.

Auch im Kontext von Organisationen und Arbeit spielt Verantwortung eine große Rolle. Behandelt man dort Menschen als Erwachsene, gilt für mich grundlegend ein einfaches Prinzip: Wer die Entscheidung trifft, trägt die Verantwortung und umgekehrt, wer die Verantwortung übernimmt oder übertragen bekommt, muss letztendlich auch die Entscheidungen treffen (können). Kann dieses Prinzip in mehr auf Partizipation bauenden Organisationen und in eigenverantwortlichen Teams auch funktionieren?

Es war bei mir ständiger Grundsatz, mir willige Mitarbeiter heranzuziehen, und zwar dadurch, dass ich jeden möglichst weit selbständig arbeiten ließ, ihm dabei aber auch die entsprechende Verantwortung auferlegte.

Robert Bosch

Im Zuge der Veränderungen formeller Machtstrukturen in Organisationen, beispielsweise durch die Demokratisierung von Macht in Unternehmen bei einer Verteilung von Verantwortung auf mehr Schultern, wird auch Verantwortung indirekt zu einem häufig diskutierten Thema. Zu dieser Veränderung von Macht und Verantwortung in Organisationen kommt es gerade durch (agile) Transformationen immer häufiger. Während allerdings eher von einem neuen Führungsbild oder von selbstorganisierten Teams gesprochen wird, schwingt das Thema Verantwortung meist einfach nur mit, wird als sich selbstverständlich organisierend oder logische Konsequenz angenommen, als reine Folge anderer Maßnahmen gesehen und meist dann hervor geholt, wenn irgendetwas nicht gut funktioniert. Da wird schnell formuliert, wer aus Sicht Beteiligter verantwortlich sei, ganze Teams sollten Verantwortung übernehmen und Personen, Rollen oder Gruppen würden ihrer Verantwortung nicht gerecht, obwohl klar sei, dass sie mit neuen Aufgaben auch bestimmte Ergebnisverantwortung hätten.

Das ganze Thema ist viel zu groß und vielschichtig und ich bin viel zu wenig Experte, um alle Facetten umfassend zu formulieren und daraus allgemein gültige Thesen abzuleiten die irgendwie neu oder anders wären. Ich möchte hiermit also eher auf Beobachtungen eingehen und formulieren, wie ich persönlich das Thema Verantwortung (im Kontext agiler Arbeitsweisen, Arbeit und Organisationen) betrachte. Und da ich am Anfang der Überlegungen stehe und das Thema gleichzeitig große Auswirkungen auf Zusammenarbeit hat, freue ich mich über weitergehenden Austausch.

Was bedeutet Verantwortung?

Spricht man von Verantwortung, dann geht es im Wesentlichen um die Fähigkeit, das eigene Können und auch die möglichen Folgen von Entscheidungen einzuschätzen und so zu handeln, dass die erwarteten Ziele mit größter Wahrscheinlichkeit erreicht werden.

Wenn man ein bisschen tiefer einsteigt, wird das Thema schnell groß und breit. Die obige Zuschreibung von Fähigkeiten an Personen ist eine Sicht. Folgt man dem chinesischen Sprichwort “Die Verantwortung für sich selbst ist die Wurzel jeder Verantwortung.“, ist das auch die wichtigste Grundlage. Aus soziologischer Sicht bezieht sich der Begriff auch auf Positions- oder Rollen-Zuschreibungen, deren Aufgabenspektrum mit Handlungsspielraum und Entscheidungsaufgaben mit entsprechend (hohen) Folgenrisiken verknüpft sind. Verantwortung ist also zum einen ein Merkmal von Personen und ihren Persönlichkeiten und zum anderen ein Merkmal sozialer Kontexte, Rollen, Positionen oder auch Problemen und Situationen.

Auch wichtig erscheint mir, dass Verantwortung übernommen oder zugeschrieben und erst durch das individuelle Handeln sichtbar wird. Dieses individuelle Handeln findet in sozialen Bezugssystemen statt und unterliegt damit immer den Vorstellungen des jeweiligen Bezugssystems von Verantwortung. Das Verständnis von Verantwortung kann in Fußballvereinen, Freundesgruppen oder individuellen Teams und Organisationen unterschiedlich sein. Und die Verantwortung von Eltern für minderjährige Kinder hat eine andere Bedeutung, als die eines Mitarbeitenden innerhalb eines Teams oder als Mensch mit Führungsverantwortung für Aufgaben und Menschen, für die diese Verantwortung besteht.

Herausfordernd wird es zusätzlich, da nicht nur der verantwortliche Mensch selbst, sondern auch die außenstehenden Menschen in ihrer Beobachtung das interpretieren, was sie als verantwortungsvolles Handeln verstehen. Dabei greifen alle Beteiligten auf die in eigener Gesellschaft, Kultur oder Subkultur üblichen sozialen Deutungsmuster zurück.

Sichtbarkeit durch Handeln

Schaut man sich auf Handeln bezogene Verantwortung an, hat Hans Lenk 1992 formuliert, welche Elemente in welchem Zusammenhang den Begriff Verantwortung kennzeichnen.

  • jemand: Personen, Kooperationen (allgemein Verantwortungsträger) ist
  • für: etwas (Handlungen, Handlungsfolgen, Zustände, Aufgaben)
  • gegenüber: einem Adressaten
  • vor: einer (Sanktions-, Urteils-)Instanz
  • in Bezug auf: ein (präskriptives, normatives) Kriterium
  • im Rahmen eines: Verantwortungs-, Handlungsbereiches verantwortlich.

Die ersten drei Punkte beschreiben, wer wem gegenüber wofür verantwortlich ist. Diese Verantwortung bezieht sich vor allem auf die Verursachung des Handelns durch eine Person, die eigene Einflussmöglichkeiten, Macht und Freiheiten mit Handlungsalternativen nutzt, um eigene Absichten und Ziele in die Tat umsetzt.

Neben diesem meist leicht zu beschreibenden Verständnis von Verantwortung gibt es ein darüber hinaus gehendes, oft wenig sichtbares, normatives Verständnis, bei dem eine Beurteilung anhand von Wertmaßstäben einfließt. Es geht also um ein ethisch gutes oder moralisch richtiges Handeln, das Personen vor sich selbst oder äußeren Instanzen zu verantworten haben. In partizipativen Organisationen gehört es beispielsweise eher zur selbstverständlichen Verantwortung, Betroffen in Entscheidungen einzubeziehen, als in eher hierarchisch strukturierten Organisationen.

Anders gesagt: Zu Verantwortung gehört nicht nur, eigene Einflussmöglichkeiten zu nutzen um Absichten und Ziele in die Tat umzusetzen, sondern dabei auch soziale Regeln, ethische Werte, Gesetze oder Prinzipien abhängig vom sozialen Kontext zu berücksichtigen. Und neben den positiven Pflichten, in einer bestimmten Art und Weise zu handeln, gibt es auch negative Pflichten, also Dinge nicht zu dürfen und damit als einziges Handeln mental zu entscheiden, ein bestimmtes Tun zu unterlassen.

Verantwortung in Organisationen

Das Gabler Wirtschaftslexikon fasst das Thema Verantwortung unter anderem wie folgt zusammen:

Mit Verantwortung wird der Umstand bezeichnet, dass jemand gegenüber einer Instanz für sein Handeln Rechenschaft abzulegen hat. Der Begriff Verantwortung entstammt ursprünglich dem Rechtsbereich und wurde dann im christlichen Sprachgebrauch auch als Rechenschaftspflicht des Menschen gegenüber Gott oder dem eigenen Gewissen ausgelegt.

Etwas genauer heißt es dann noch im Kontext von Organisation:

Verpflichtung und Berechtigung, zum Zwecke der Erfüllung einer Aufgabe oder in einem eingegrenzten Funktionsbereich selbstständig zu handeln. Mit der Chance zum selbstständigen Handeln verknüpft sich das Einstehenmüssen für Erfolg und Misserfolg gegenüber derjenigen Instanz, von der die Kompetenz für Aufgabe oder Funktionsbereich erteilt wurde. Häufig Synonym für Verantwortlichkeit, dem Einstehen für ein Tun und Lassen.

Verantwortung wird in der Organisation von Arbeit mit Erwartungen an Zielerreichung verknüpft und häufig mit Ergebnisverantwortung in Verbindung gebracht. So heißt es beispielsweise in der deutschen Übersetzung des Scrum Guides aus dem Jahr 2020:

  • Der:die Scrum Master:in ist ergebnisverantwortlich für die Einführung von Scrum, wie es im Scrum Guide definiert ist.
  • Das gesamte Scrum Team ist ergebnisverantwortlich (accountable), in jedem Sprint ein wertvolles, nützliches Increment zu schaffen.
  • Der:die Product Owner:in ist ergebnisverantwortlich für die Maximierung des Wertes des Produkts, der sich aus der Arbeit des Scrum Teams ergibt.

Für die Rollen Scrum Master, Scrum Team und Product Owner wird hier relativ konkret beschrieben, für welches Ergebnis sie verantwortlich sind. Und so wie hier Verantwortung gedacht wird, erlebe ich viele andere Gespräche in Organisationen. Um sich klar darüber zu werden, wie sich unterschiedliche Rollen abgrenzen wird lösungsorientiert formuliert, welche Ergebnisse in der Verantwortung der jeweiligen Personen liegen, die bestimmte Rollen übernehmen.

Was sind die Probleme dabei?

Betrachtet man Organisationen (egal ob Team, Einheiten, Abteilungen, ganze Unternehmen) als sich selbst organisierende soziale Systeme in komplexen Umgebungen, gibt es unvorhersehbare Abhängigkeiten und Wechselwirkungen. Menschen können Annahmen über Zusammenhänge, Wirkung oder Folgen von Entscheidungen und Handlungen treffen. Sie können dennoch in sozialen Systemen nicht alle Wechselwirkungen sicher vorhersagen. Es gibt keine gänzlich verlässlichen linearen (kausalen) Zusammenhänge. Überraschungen können und werden passieren.

Folgt man zudem Konstruktivisten wie Paul Watzlawick, gibt es keine objektive Realität, sondern nur individuell konstruierte subjektive Realitäten. Wie Menschen ihre Umgebung wahrnehmen, ist eine individuelle Konstruktion der wahrgenommenen Sinneseindrücke.

Eine konstruktivistische systemische Sicht bedeutet also, dass jeder Mensch seine eigene Wirklichkeit konstruiert und dass im Zusammenwirken vieler Menschen kausale Wenn-Dann-Beziehungen gar nicht, oder nicht verlässlich, existieren und entsprechend auch keine Vorhersagen getroffen werden können.

In logischer Konsequenz bedeutet das auch, dass in der Theorie einzelne Personen keine Verantwortung für Ergebnisse anderer Menschen oder ganzer Gruppen übernehmen können. Wie kann zum Beispiel ein Scrum Master dafür verantwortlich sein, dass Scrum wie im Buch eingeführt wurde und durchgeführt wird, wenn beispielsweise das Team den Regeln von Scrum nicht folgt? Wie kann das ganze Scrum Team verantwortlich dafür sein, ein wertvolles, nützliches Ergebnis am Ende eines Sprints zu schaffen, wenn es vielleicht Abhängigkeiten zu anderen Teams hat und diese Teams Ergebnisse nicht liefern, oder wenn andere unvorhergesehene Dinge wie zum Beispiel eine Krankheitswelle oder unvorhergesehene rechtliche Änderung oder möglicherweise vorher nicht absehbare Mehraufwände in die Quere kommen? Wie soll ein Product Owner für die Maximierung des Werts eines Produkts verantwortlich sein, wenn sich schlagartig Bedarfe von Kunden grundlegend ändern oder subjektive Interpretationen plötzlich zu Missverständnissen führen?

Warum bleibt es wichtig?

Seit mehr als 15 Jahren erlebe ich bei Veränderungen von Strukturen, Regeln, Prinzipien und Prozessen in Organisationen, in denen Aufgaben und Verantwortung klassischer Führungsrollen demokratisiert und auf mehr Schultern verteilt werden, in denen ein höheres Maß an Autonomie Menschen und Teams zugesprochen wird, dass die Verteilung von Verantwortung in Gruppen und Teams zu wenig guten Ergebnissen führt. Zwar wünschen sich alle ein möglichst hohes Maß an Autonomie und Freiheit, vergessen dabei aber genau das: Je höher die Freiheit, um so größer die Verantwortung, gut damit umzugehen.

Sind alle Verantwortlich, fühlt sich keiner verantwortlich. Neben der theoretischen Reorganisation und Verteilung von Verantwortung gibt es das Verantwortungsgefühl. Die Konsequenz aus geteilter Verantwortungslosigkeit ist häufig nicht nur, dass Dinge nicht fertig werden. Hinzu kommt, dass ausbleibende Ergebnisse oder Erfolge immer wieder dazu führen, dass Menschen klarstellen, dass sie selbst nicht die Verantwortung hatten (und auch nicht übernehmen konnten) um im gleichen Atemzug zu definieren, wessen Verantwortung es gewesen wäre. Wir drehen uns in einer Schuld-Spirale. Darauf folgen Abgrenzungsdiskussionen in einem Arbeitsumfeld, in dem es eigentlich um bessere Zusammenarbeit und Integration geht. Konflikte nehmen zu, Zusammenarbeit verschlechtert sich weiter.

Ich habe nur sehr wenige Teams erlebt, in denen die Gesamtverantwortung für Themen im ganzen Team gesehen und auch übernommen wurde. Und die ins Handeln gebrachte Verantwortung ist für Fortschritt und Vorwärtskommen unerlässlich. Nur wer sich verantwortlich fühlt und Verantwortung für eigenes Handeln übernimmt, wird Maßnahmen ergreifen, um das angestrebte Ziel zu erreichen und zu den Personen gehören, die Probleme lösen.

Lösungsmöglichkeit?

Wenn einzelne Menschen aus systemischer Sicht in einer komplexen Umgebung voller Überraschungen alleine keine Ergebnisverantwortung übernehmen können, können sie aber Verantwortung für das eigene Wirken übernehmen und die Wirkung beobachten und entsprechend der Reaktion der Umfeld anpassen.

Erwachsene Menschen müssen (und wollen in der Regel auch) Verantwortung für ihr eigenes Handeln übernehmen. Die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln geht einher mit der Autonomie, im Rahmen gesetzlicher und gesellschaftlicher Regeln, Prinzipien und Normen zu handeln. Das gilt auch in Organisationen. Christopher Avery bietet mit seinem Responsibility Process eine geleitete Möglichkeit zur Selbstentwicklung. Er beschreibt sehr einfach Stufen im Zusammenhang mit der Übernahme von Verantwortung.

  • Leugnen: Das ist nicht wahr
  • Beschuldigen: Das bin ich nicht
  • Rechtfertigen: Das geht nicht
  • Schämen: Das kann ich nicht
  • Verpflichtet sein: Das muss ich run
  • Verantwortung übernehmen: Das will ich tun

Letztendlich bedeutet Verantwortung zu übernehmen, Entscheidungen zu treffen und für Fehler geradezustehen, statt anderen oder den Umständen die Schuld für Fehler oder ausbleibende Zielerreichung und Erfolg zu geben. Allerdings sind wir häufig anders sozialisiert und der Rahmen in Organisationen fördert und fordert selten andere Verhaltensweisen. Verantwortung zu übernehmen ist oft verbunden mit mehr Arbeit und einem höheren Risiko, weil man das Gefühl hat, “den Kopf für etwas hinhalten zu müssen”.

Hilfreich kann für die Menschen sein, den Bereich der Verantwortungsübernahme auf den echten Einflussbereich zu beschränken und in Zusammenarbeit weniger über die Verteilung und Abgrenzung von Verantwortung, sondern mehr über die verlässliche Übernahme von Aufgaben zu sprechen. Da Erwachsene in Organisationen immer vor allem verantwortlich für das eigene Handeln sind, lässt sich so der Blick von einem unklaren „du hast deine Verantwortung nicht übernommen“ zu einem „du hast deine Aufgaben verlässlich erledigt“ lenken.

  • Was kann eine Scrum Masterin machen, dass Scrum wie im Buch eingeführt wurde und durchgeführt wird (wenn man das überhaupt wollte, also eher ein fiktives Beispiel)?
    Eine Scrum Masterin kann sich überlegen, welche Aufgaben sie selbst und auch andere erledigen können, deren Umsetzung die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Scrum wie im Buch eingeführt und durchgeführt wird. Sie kann in den Terminen auf die Einhaltung der Regeln achten und auf Regelverstöße hinweisen. Sie kann beobachten was passiert und neue Ideen entwickeln, wenn die bisherigen nicht zum Ziel führen. Sie ist nicht verantwortlich dafür, dass es klappt, aber verantwortlich dafür, ihre Aufgaben als Scrum Master zu erfüllen in einer Form, die einen positiven Einfluss auf das Ziel nimmt. Sie kann eine ganze Reihe von Aufgaben übernehmen, die Einfluss auf den Weg zum Ziel haben.
  • Wie kann das ganze Scrum Team verantwortlich für ein Ergebnis am Ende eines Sprints sein?
    Alle Personen eines Teams können sich gemeinsam überlegen, was sie tun können, um das Ergebnis am Ende zu erreichen und auch überlegen, wie sie mit Überraschungen umgehen und was sie unternehmen, um das Ziel des Sprints dennoch zu erreichen.
  • Wie soll eine Product Ownerin für die Maximierung des Werts eines Produkts verantwortlich sein?
    Die Product Ownerin kann im kontinuierlichen Austausch mit Kunden stehen, den Markt analysieren und mit dem Backlog arbeiten und Priorisierungen ändern, um auf Veränderungen und neue Erkenntnisse zu reagieren und damit den Wert des Produkts im Rahmen der Möglichkeiten maximieren.

Menschen können Verantwortung für die verlässliche Übernahme eigener Aufgaben im Kontext gemeinsamer Zielen übernehmen. Sie können und müssen Verantwortung für eigene Entscheidungen übernehmen und ihren Beitrag dazu leisten, dass die Entscheidungen anderer einfacher und zielführende getroffen werden können. Und sie können Verantwortung dafür übernehmen, Entscheidung in eine Richtung zu beeinflussen, die für Zweck oder Ziel sinnvoll erscheint.

Es bleiben Aushandlungsprozesse

Die Übernahme von Verantwortung für das eigene Handeln und die Erledigung der eigenen Aufgaben bei gleichzeitigem Blick auf das gemeinsame Ziel ist ist eng verknüpft mit der für gute Zusammenarbeit wichtigen Verlässlich- und Verbindlichkeit. Und das eigene verlässliche und verbindliche Handeln wird das Handeln anderer Menschen beeinflussen.

Eigenverantwortlich alles im eigenen Einflussbereich stehende zu tun, um auf ein (gemeinsames) Ergebnis hinzuwirken und die Erledigung der Aufgaben im eigenen Kompetenzbereich sicherzustellen, kann jede Person als Aufgabe übernehmen. Die Bereitschaft, dabei alles einzubeziehen was nötig ist, um positiv auf das Ergebnis einzuwirken, ist ein wesentlicher Bestandteil für Zusammenarbeit und das gemeinsame Lösen von Problemen.

Wenn dann unterschiedliche individuellen Aufgabenbereiche zusammenstoßen – weil beispielsweise jemand „Verantwortung“ für das Wohlbefinden von Mitarbeitenden hat und jemand anderes „Verantwortung“ für erfolgreiches Geschäft – kann unabhängig von Diskussionen über Verantwortungsbereiche die konkreten Aufgaben gegenüber gestellt und das beste Vorgehen gemeinsame ausgehandelt werden. Sobald man nicht mehr über einen diffusen Kasten von Verantwortung streitet, sondern die Aushandlungsprozesse unterschiedlicher Aufgaben und Ziele als eine gemeinsame kreative und kollaborative Gestaltung von Nahtstellen zwischen unterschiedlichen Aufgabenbereichen für einen gemeinsamen Zweck oder ein gemeinsames Ziel versteht, kann sich die Suche nach Schuldigen hin zur Gestaltung von Lösungen entwickeln. Statt abgrenzende Diskussionen (was mache ich und du nicht, was machst du und ich nicht) zu führen, können überlappende Nahtstelle gemeinsam gestaltet werden (wie kann ich dich bei deiner Verantwortung unterstützen, wie kannst du mich bei meiner unterstützen und was ist unser gemeinsames Ziel dabei).

Zusammengefasst

Menschen können in Komplexität nicht alleine verantwortlich „gemacht“ werden für Ergebnisse, die in der Regel in Gruppen entstehen und die vor allem durch viele Abhängigkeiten und Wechselwirkungen gar nicht in der „Macht“ der jeweiligen Person stehen. Selbst wenn Menschen in Organisationen mit hoher formeller Macht ausgestattet werden, haben sie nicht auf alles direkt Einfluss.

Hinzu kommt, dass ich die Diskussionen um Rollen und ihre Verantwortlichkeit häufig eher abgrenzend, statt verbindend wahrnehme. Es geht in Gesprächen zur Zuweisung von Verantwortung häufig nicht um Klarheit für bessere Zusammenarbeit, sondern um die Klärung der Frage, wer im Falle eines Scheiterns verantwortlich gemacht werden, wem also Schuld zugeschoben werden kann. Das ist altes Denken und nicht förderlich für eine konstruktive Zusammenarbeit.

Denkt man ausschließlich an die unstrittige individuelle Verantwortung (also dass jede Person für das eigene Handeln verantwortlich ist), kann man zwar Verantwortung verorten, aber auch hier erlebe ich genau das wenig förderlich. Denn so übernehmen alle Verantwortung für sich selbst und nicht für ein gesamtes Ergebnis mit dem durchaus möglichen Effekt, dass alle „ihren Kasten sauber gehalten haben“, das Ergebnis aber doch nicht erreicht wurde.

Gute Ergebnisse in komplexer Umgebung entstehen in der Regel durch eine gute Zusammenarbeit unterschiedlicher Menschen und gut gestaltete Nahtstellen zwischen Systeme. Der Weg raus aus diesem Dilemma ist vielleicht, wenn wir – abgesehen von der individuellen Verantwortung für gute eigene Leistung und Ergebnisse – eher über Aufgaben von Rollen in Systemen oder von ganzen Systemen wie Teams oder Organisationen und Zielen sprechen, die gemeinsam erreicht werden wollen und definieren, wer Aufgaben übernehmen, dabei durch wen und wie Unterstützung erfahren kann und was benötigt wird, um den Aufgaben verlässlich gerecht werden zu können.

Dann ist es beispielsweise nicht mehr die Verantwortung eines Scrum Masters, eine gute Zusammenarbeit sicherzustellen. Stattdessen ist es die Aufgabe des Scrum Mastes, sich für eine gute Zusammenarbeit einzusetzen und sie dafür im Blick zu behalten. Die gute Zusammenarbeit selbst müssen dann alle betroffene Menschen in einem System in gemeinsamer Verantwortung herstellen. Und wenn der Scrum Master dann eine hohe Verantwortung bei sich individuell sieht, diese Aufgabe umzusetzen, wird er sich engagieren und machen, was ihm möglich ist, auch ohne für das Ergebnis – nämlich eine gut funktionierende Zusammenarbeit – alleine verantwortlich zu sein.

Wenn sich die gute Zusammenarbeit nicht einstellen sollte, dann liegt das nicht am Scheitern eines verantwortlichen Scrum Masters. Es liegt an Wechselbeziehungen und Abhängigkeiten, auf die der Scrum Master nicht ausreichend Einfluss nehmen konnte. Und dann lässt sich überlegen, ob die Aufgaben nicht zuverlässig erledigt wurden und was der Scrum Master braucht, um sich hier zu verbessern. Und es lässt sich überprüfen, ob der Grund für das Ausbleiben einer guten Zusammenarbeit an anderen Gründen liegt und wer mit seinen Aufgaben oder wie durch Veränderung von Aufgaben die Wahrscheinlichkeit einer guten Zusammenarbeit erhöht werden kann.

Die spannende Frage kann dann sein: Was habe ich dazu beigetragen, dass der aktuelle Stand auf dem Weg zu einem Ziel so ist wie er ist und was kann ich zu einem Erreichen des gemeinsamen Ziels noch beitragen.

(Das Bild ist von mini malist – vielen Dank!)

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