Homeoffice

Zusammenarbeit trotz Homeoffice

In aktuellen Zeiten des neuartigen Corona-Virus, in denen Menschen in zweiwöchige Quarantäne müssen, mehr und mehr Veranstaltungen abgesagt werden, das öffentliche Leben nach und nach eingeschränkt werden muss um die Verbreitung zu verlangsamen, fordern auch kleine und große Firmen ihre Mitarbeiter auf, große Menschenmengen – auch in Büros – zu vermeiden. Gesundheit und ein guter Umgang mit der Pandemie haben Vorrang.

Das Zuhause der Mitarbeitenden wird als Homeoffice mehr und mehr zum Hauptarbeitsplatz von Menschen in Unternehmen (deren Arbeit das zulässt). Allerdings bedeutet die theoretische Möglichkeit, Arbeit auch anders erledigen zu können als vor Ort im Büro noch nicht, dass die Menschen dieser Unternehmen in der Lage dazu sind – sowohl was technischen Rahmenbedingungen, als auch was Erfahrung angeht.

Arbeiten vor Ort?

Gerade in einem Arbeitsumfeld von Wissens- und Kreativarbeitenden, die sich mit Herausforderungen einer komplexen Umgebung konfrontiert sehen und die mittlerweile oft agil in Teams arbeiten, steht das gemeinsame Arbeiten vor Ort hoch im Kurs – heißt es doch sogar in einem der zwölf Prinzipien des Agilen Manifests:

Die effizienteste und effektivste Methode, Informationen an und innerhalb eines Entwicklungsteams zu übermitteln, ist im Gespräch von Angesicht zu Angesicht.

Agile Manifesto

Gerne bestätige ich auch aus eigener Erfahrung, dass die effektivste und effizienteste Kommunikationsform von Angesicht zu Angesicht ist. Dass ein gemeinsames Büro, in dem am Besten alle zur Wertgenerierung benötigten Menschen Seite an Seite arbeiten können, eine ideale Rahmenbedingung für die Zusammenarbeit darstellt. Gleichzeitig habe ich schon 2013 festgestellt, dass das bereits damals im Konflikt zu den individuellen Bedürfnissen und Interessen vieler Mitarbeitenden steht. Schon damals bin ich davon ausgegangen, dass dieser Konflikt zunehmen wird und mache heutzutage genau diese Erfahrung.

Spätestens jetzt – bei einem Ausnahmefall wie dem Coronavirus – zeigt sich unschön und gleichzeitig überdeutlich, was ich in meinem kurzen Vortrag aus dem Jahr 2014 festgestellt habe: Die Erwartung, alle für eine Problemlösung benötigten Menschen in einem Raum zu haben, ist immer weniger zeitgemäß, auch wenn für Problemlösungen heute vermehrt in Teams gearbeitet wird und werden muss. Und wir können das, beides, in Teams und verteilt arbeiten.

Ja, die ohnehin schon größte Herausforderung in der Zusammenarbeit – die Kommunikation – wird durch verteiltes Arbeiten zusätzlich erschwert. Verteiltes Arbeiten sollte also bestmöglich vermieden werden. Das aber nicht um jeden Preis. Schon gar nicht wenn durch eine Pandemie die Gesundheit von Menschen auf dem Spiel steht.

Verteiltes Arbeiten wertvoll gestalten

Beruhigend ist, dass eine wertvolle Gestaltung von verteiltem Arbeiten gar kein großes Hexenwerk ist. Mit der Berücksichtigung ein paar weniger Punkte – so meine Erfahrung – kann verteiltes Arbeiten mit virtuellen Meetings sogar wertvoller sein, als Zusammenkünfte von Menschen vor Ort in einem Raum. Es gibt lediglich sechs Grundsätze zu beachten. Diese Grundsätze waren 2013 für viele noch ungewohnt und neu und gelten heute immer noch. Und dabei ist es in mancherlei Hinsicht einfacher geworden.

Was also sind die sechs Grundsätze für wertvoll gestaltetes verteiltes Arbeiten?

Notwendigkeit und Ziel

Telefonkonferenzen oder Videochat erfordern in der Regel mehr Konzentration und sind damit anstrengender, als Treffen von Angesicht zu Angesicht. Um so wichtiger ist es, dass allen Teilnehmern klar ist, warum das (virtuelle) Treffen notwendig ist und welches Ziel verfolgt wird. Ist die Notwendigkeit da – wie beispielsweise durch unser aller Aufgabe, unnötige Treffen zu vermeiden um die Verbreitung des Coronavirus zu verlangsamen – haben Menschen eine viel größere Bereitschaft für diese Form der Zusammenarbeit und bringen damit eine wichtige Grundlage für den Erfolg des Meetings mit. Kennen sie das Ziel des Meetings, können sie sich zudem zielgerichtet einbringen.

Gute Moderation

Wenn Austausch nicht von Angesicht zu Angesicht erfolgt, fehlen wichtige Teile von Kommunikation. Am Telefon lässt sich neben dem gesprochenen Wort noch die Tonalität raushören, Mimik und Körpersprache fallen weg. Bei einem Videochat ist das besser, aber abhängig vom Bild sind Mimik und Körpersprache auch nur eingeschränkt wahrnehmbar. Um so wichtiger ist eine gute Moderation, die darauf achtet, dass alle Menschen zu Wort kommen, dass Beiträge gleichermaßen ernst genommen und in den Austausch einbezogen werden. Ein Moderator kann verstärkt auf Signale der Menschen achten, die über das gesprochene Wort hinaus gehen und sicherstellen, dass auch das berücksichtigt wird. Gute Moderation hilft Teilnehmenden, die Konzentration hoch zu halten und kann auf technische Schwierigkeiten reagieren und das Gespräch zum Beispiel unterstützt durch “Virtual Meeting Cards“ auch durch möglicherweise holprige Rahmenbedingungen zum Ziel führen.

Gute Vorbereitung

Virtuelle Meeting müssen gut vorbereitet werden, um die Auswirkungen möglicher Störungen durch beispielsweise unzureichende Technik oder schlecht vorbereitete Teilnehmende zu reduzieren. Zur guten Vorbereitung gehört neben der funktionierenden Technik und ausreichenden Vorbereitung durch alle Teilnehmenden auch, die Länge des Meetings so kurz wie möglich zu halten und den Austausch sehr fokussiert durchzuführen. Gute Vorbereitung hilft dabei, in kurzer Zeit zu guten Ergebnissen zu kommen und nicht abgelenkt werden.

Gute Rahmenbedingungen

Was 2013 noch mit Skype und Webex nicht immer zuverlässig lief, bietet heute jedes Smartphone. Videochat via Apps wie WhatsApp oder Snapchat sind aus den Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken – häufig wie selbstverständlich genutzt, weil es kinderleicht zu bedienen ist. Tools wie Google Hangout, Microsoft Teams, Zoom und andere machen Treffen über Standorte hinweg einfach möglich und die Möglichkeiten heute, gemeinsam in geteilten Dokumenten zu arbeiten, vereinfachen Co-kreatives Arbeiten. Kinderleichte Bedienung und mindestens eine gute Audioqualität, am Besten auch ein gutes Video, sind möglich und notwendig als gute Rahmenbedingungen für die standortübergreifende Zusammenarbeit.

Gleichberechtigung

Wirklich gut wird die Zusammenarbeit, wenn Gleichberechtigung herrscht – also in den verwendeten Tools alle die gleichen Möglichkeiten und alle die gleichen Rahmenbedingungen haben. Besser als ein Meetingraum vor Ort mit einem Teil des Teams und einzelne zugeschaltete Kolleg*innen ist, dass alle sich über ihr eigenes Equipment zu einem virtuellen Treffen dazu schalten. Das führt dazu, dass niemand abgehängt wird, weil mögliche Ton-Probleme oder fehlenden Zugriffe auf Dokumente alle gleichermaßen haben und dann für alle Abhilfe geschaffen werden kann. Es kann so auch nicht vorkommen, dass ein Teil der Teilnehmenden einen anderen Teil übergehen oder abhängen.

Übung macht den Meister

Mit Abstimmungen über mehrere Standorte per Telefon oder Video ist es wir mit allen anderen neuartigen Dingen – vor allem wenn sie abhängig sind von richtiger Nutzung funktionierender Technik: Übung macht den Meister. Wie einfach auch immer die Software für Video-Chats oder gemeinsames Arbeiten an geteilten Dokumenten ist: Es ist immer noch komplizierter und zu Beginn ungewohnter, als sich in einem Meetingraum vor ein Whiteboard zu stellen und einfach etwas aufzuschreiben. Die Form von Online-Meetings braucht Übung, um genau so einfach von der Hand zu gehen, wie Treffen von Angesicht zu Angesicht. Mit dieser Übung ist die Technik aber mittlerweile auf einem Stand, dass ein Großteil der üblichen Abstimmungen von Teams ohne große Probleme auch virtuell stattfinden können.

Der Vorteil?

Neben der (aktuell mindestens gesundheitlichen) Notwendigkeit und der höheren Flexibilität für Menschen habe ich Online-Meetings, Abstimmungen über Video-Chat und Remote-Entscheidungen nach der Übungsphase als wesentlich fokussierter und zielgerichteter erlebt. Abstimmungen liefen noch stärker auf Augenhöhe, alle kamen durch gute Moderation zu Wort und auch wenn manche dieser Meetings etwas formalistischer wirkten, waren die Ziele oft klarer und damit die Ergebnisse schneller erreicht. Trifft man sich nur telefonisch oder im Video-Chat, werden eingeplante Zeiten für Abstimmungen nur völlig ausgenutzt, wenn das notwendig ist für die Zielerreichung. Vorzeitig beendet werden sie, wenn vor Ende der geplanten Zeit ein Ergebnis erzielt oder stattdessen erkannt wurde, dass kein Ergebnis zu erzielen ist.

Durch den Coronavirus haben wir eine Situation, in der wir Treffen von Angesicht zu Angesicht aus Gründen der Ansteckungsgefahr reduzieren sollten. Wir können aus der Not(wendigkeit) eine Tugend machen und uns in standortübergreifenden virtuellen Meetings üben. Weil wir es verstärkt müssen. Und weil wir es können, wenn wir es müssen. Das bedeutet, die Meetings durchzuführen, zu reflektieren was gut und weniger gut lief um sich auch dabei stetig zu verbessern. Von dieser spätestens jetzt zu erlernenden Fähigkeit können Menschen und Teams auch später weiterhin profitieren.

Mehr zum Thema verteiltes Arbeiten

Wer sich mehr damit auseinandersetzen will, dem kann ich das Buch “Work together anywhere“ von Lisette Sutherland empfehlen, die sich bereits seit vielen Jahren mit guter verteilter Zusammenarbeit beschäftigt.

Eine gute Übersicht mit Hinweisen zu Tools und Hardware für virtuelle Besprechungen und Veranstaltungen hat Cogneon in ihrem frei zugänglichen Wiki zusammengestellt.

Hier findet sich ergänzend ein gutes Video eines Webinars zu „Remote Retrospectives“ mit David Horowitz und der Autorin des Buchs „Agile Retrospectives“ Esther Derby. Danke an Kristina Mueller, die mich über ihre Website auf das Video aufmerksam gemacht und außerdem in einem PDF auf die acht Prinzipien für „Remote Retrospectives“ aus dem Video hinweist.

Aktueller Verlauf des Coronavirus Covid-19

(Das Bild ist von Ivan Radic – vielen Dank!)

4 Comments

Leave a Comment
  1. Aus aktuellem Anlass habe ich meine Erfahrungen mit Remote Retrospektiven hier geteilt: 👇
    https://www.scrummasterjournal.de/blog/remote-retrospektive/

    6 Einfache Remote Retrospektiven Tipps und Tricks:
    1. Wenn ein Teilnehmer remote ist, sind alle Teilnehmer remote.
    2. Jeder Teilnehmer aktiviert seine Kamera.
    3. Etabliere Working Agreements für Remote Meetings.
    4. Starte die Retro mit einem Ice Breaker.
    5. Alle 45 Minuten eine fünfminütige Pause einlegen.
    6. Sammle immer am Ende Feedback zu der jeweiligen Retrospektive ein.

Schreibe einen Kommentar zu Lutz Müller Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert