Arbeit verändert sich. Großen Einfluss auf die Veränderung hat die Einführung und Entwicklung von Werkzeugen, um Qualität zu erhöhen oder schlicht Arbeit zu vereinfachen, damit zu beschleunigen und profitabler zu werden. Das ist schon immer so und agile Methoden (als Werkzeug) unterstützen diesen Trend.
Das Problem
Bisher funktioniert unser wirtschaftliches System, indem Produktivitätsgewinne monetarisiert und dabei Arbeit entlohnt wird. Diese Entlohnung sichert die Existenz. Produktivitätsgewinne entstehen durch immer bessere Werkzeuge. Einfache Arbeit wird automatisiert und fällt weg, neue Arbeitsplätze im komplexen Umfeld entstehen (sicher auch in Gebieten, die wir uns heute noch nicht vorstellen können), allerdings nicht in der gleichen Menge, in der Arbeitsplätze wegfallen – sonst würde die Produktivität abnehmen. Gleichzeitig haben wir ein exponentielles Wachstum der Bevölkerung. Einfach gesagt haben wir immer weniger Arbeit für immer mehr Menschen.
Neue Erkenntnis?
Bereits vor mehr als 20 Jahren etablierte sich der Begriff der Einfünftelgesellschaft bei einer im Jahr 1996 von Michail Gorbatschow organisierten Konferenz (Global Brain Trust). Hier kamen 500 führende Politiker, Wirtschaftsführer und Wissenschaftler aus allen Kontinenten zusammen. Die einhellige Meinung: Produktivitätssteigerung verursacht einen erheblichen Rückgang der Arbeitsmenge, die wiederum von einem Fünftel des weltweiten Arbeitskräftepotenzials erledigt werden kann. Vier Fünftel der arbeitsfähigen Menschen haben dann keine Arbeit mehr und müssen mit sogenanntem Tittytainment bei Laune gehalten werden. (Empfehlenswertes Buch zu dieser Konferenz ist der mittlerweile in 27 Sprachen übersetze Beststeller Die Globalisierungsfalle.)
Bisherige Antwort auf das Problem
Diesem Prozess wurde bisher durch die Reduktion der Arbeitszeit pro Beschäftigten und die Entstehung neuer Beschäftigungsfelder begegnet. Betrachtet man beispielsweise die Entwicklung der Arbeitsstunden pro Jahr der letzten 50 Jahre in Deutschland (PDF) sieht man, dass sich die Anzahl der jährlichen Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen im Schnitt von 2.163 auf 1.363 im Jahr 2016 reduziert hat. Vor 200 Jahren waren das abhängig von der Berufsgruppe noch bis zu 4.000 Stunden.
Agile Methoden als Teil des Problems
Auch die Einführung agiler Methoden hat in der Regel Produktivitätssteigerung zum Ziel. Diese Werkzeuge unterstützen in komplexem Umfeld, auf Überraschungen zu reagieren und Verschwendung in der Arbeit zu reduzieren. Sie sind damit Teil des Problems in einem auf Produktivitätsgewinne ausgelegten Wirtschaftssystem, das unsere Kultur maßgeblich prägt. Eine Reduktion von Arbeitszeit wird nicht ausreichen, um die Entwicklung zur Einfünftelgesellschaft aufzuhalten. Die den agilen Methoden zugrunde liegenden Werte und Prinzipien können aber bei einer notwendigen System-Veränderung unterstützen und Teil des Zielbilds sein.
Agile Werte als Teil der Lösung
Auch wenn agile Werte und Prinzipien kreative, intellektuell anspruchsvolle Arbeit unterstützen und damit den exponentiellen Fortschritt der Technik befeuern, können sie für das gesamte Wirtschaftssystem gedacht ebenso hilfreich sein, sind vielleicht ebenso unumgänglich.
Arbeit muss flexibel gestaltet werden können
Flexibel auf neue Rahmenbedingungen zu reagieren ist ein wesentlicher Bestandteil. Kreative Wissensarbeit lässt sich nicht in klassische 8-Stunden-Rhythmen pressen. Zeit um Ideen zu finden und innovativ kreativ zu arbeiten lässt sich so nicht organisieren. Die strikte Trennung von Privatleben und Arbeit ist aus meiner Sicht nicht zukunftsfähig. Eine höhere Flexibilität wird erforderlich sein und die Fusion von Arbeit und Privatleben muss zu einer Win-Win-Situation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden.
Die Entwicklung der Anzahl Selbstständiger, die häufig genau diese Flexibilität als Grund für ihre Selbstständigkeit angeben, spricht eine deutliche Sprache hin zu einem veränderten Bedürfnis der Arbeitnehmer. Von 1992 bis 2016 hat sich die Anzahl Selbstständiger von 514.000 auf 1.344.000 erhöht. Auch die stetige steigende Anzahl der Väter, die Elternzeit nehmen, deutet auf einen Wunsch nach stärkerer Vereinbarkeit von Privatleben und Arbeit hin.
Diese Flexibilität erhöht Freiheit und Verantwortung und gibt die Möglichkeit, sich sein Leben so zu gestalten, wie es den sich auch ständig ändernden persönlichen Bedürfnissen entspricht. Wäre es nicht schön, mit der Familie eine Weltreise machen zu können, ohne dafür Urlaub nehmen zu müssen? Ich habe von einem Unternehmen gehört, in dem das möglich war.
Arbeit muss Spaß machen
Eine gute Ausbildung ist wichtig, wie gut können aber die Ergebnisse eines Arbeitnehmers von Aufgaben sein, die ihm gar keinen Spaß machen? Menschen möchten etwas arbeiten, das sie erfüllt. Jobs, die nur zur finanziellen Existenzsicherung ausgeübt werden, stellen nicht zufrieden, werden immer weniger akzeptiert.
Mitarbeiter liefern die besten Ergebnisse – sind also volkswirtschaftlich gesehen am wertvollsten – wenn sie das machen können, worauf sie Lust haben.
Wichtige Grundlage hierfür kann ein bedingungsloses Grundeinkommen sein, mit dem es nicht darum geht, dass sich Faule weiter auf die faule Haut legen können. Großer Wert des BGE ist die Möglichkeit für alle Menschen, ihren Neigungen nachgehen und dabei aktuelle Lebenssituationen berücksichtigen zu können. Es soll Menschen möglich zu sein, sich stärker danach orientieren zu können, was sie machen wollen um dann nicht gut und gerne, sondern gerne und damit gut einen wichtigen Beitrag zum Wirtschafts- und Sozialsystem zu leisten.
Dabei ist es auch nicht nötig, künstlich ein Ende zu bestimmen. Wieso sollen Menschen, die gerne auch mit 70 noch fit sind und arbeiten möchten, nicht noch arbeiten dürfen? Steckt nicht gerade in alten und weisen Mitarbeitern die Erfahrung, die jungen Mitarbeitern fehlt? Nein, es geht dabei nicht um Erwerbstätigkeit um die Existenz zu sichern, wie es teilweise heute der Fall ist, sondern um eine sinnvolle und frei gewählte Beschäftigung und einen wichtigen Beitrag zum System.
Die Möglichkeit in Teams selbstorganisiert über die Arbeit zu entscheiden, die man selbst erledigen möchte, trägt wesentlich zu einem höheren Spaß an der Arbeit bei. Die regelmäßige Reflektion über die geleistete Arbeit und die Art der Zusammenarbeit tragen dazu bei, dass sich jeder mit seinen Wünschen einbringen kann, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen.
Leistung statt Arbeitszeit entlohnen
Mitarbeiter werden bisher nicht für erbrachte Leistung und generierten Wert, sondern für aufgewendete Zeit entlohnt. Wenn Bevölkerungswachstum und technischer Fortschritt die aufzuwendende Arbeitszeit reduzieren, kann das keine Zukunft haben.
Warum aber sollte ein Mitarbeiter, der acht Stunden beschäftigt ist aber keine Leistung oder keinen Wert bringt mehr verdienen, als ein Mitarbeiter, der in wenigen Stunden Ideen verwirklicht, die Wert erzeugen? Ist das wirtschaftlich sinnvoll? Und wieso wird Arbeitszeit von Menschen besteuert, die von Robotern aber nicht? Ist denn die Bezahlung und Besteuerung von menschlicher Arbeitszeit fairer als die Bezahlung und Besteuerung von Leistung und geschaffenem Wert?
Unabhängig davon, wofür motivierte Mitarbeiter ihr Geld bekommen (Leistung oder Zeit): sie müssen sich Mühe geben und kontinuierlich besser werden. Die Kontrolle von Arbeitszeit erzeugt hohen administrativen Aufwand ohne Wert. Die Betrachtung und Entlohnung der Leistung von Mitarbeitern wäre sinnvoller. Wenn dabei jeder Mitarbeiter verstärkt das machen kann, was ihm Spaß macht und worauf er Lust hat ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass auch jeder Mitarbeiter eine hohe Leistung bringt.
Agile Teams haben das Ziel, in regelmäßigem Rhythmus Wert zu erzeugen und zum Kunden zu bringen. Es wird davon ausgegangen, dass jeder Mitarbeiter motiviert den ihm möglichen besten Beitrag dazu leistet. Dabei wird nicht von außen kontrolliert, wie viel Zeit jeder einzelne Mitarbeiter gearbeitet hat, um diesen Wert zu erzielen.
Miteinander statt gegeneinander arbeiten
Einfache manuelle Arbeit wird durch Maschinen gemacht. Komplexe Herausforderungen können nur gemeinsam bewältigt werden und ein Gegeneinander ist nicht nur unnötig, sondern schädlich. Silos erzeugen unterschiedliche gegenläufige Positionen, damit Machtkämpfe und so ausgeübte Gewalt (egal ob physikalisch oder nicht), die wiederum erzeugt Gegengewalt. Das gilt auch für mögliche Konflikte zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. So lange der Arbeitgeber immer mehr von seinem Arbeitnehmer fordert und das nicht im gleichen Maße entlohnt um davon selbst zu profitieren, wird eine kooperative Zusammenarbeit nicht funktionieren. Dabei brauchen die Arbeitgeber die Arbeitnehmer ebenso wie umgekehrt und es müssen gemeinsam Entscheidungen getroffen werden, die alle weiterbringen. Dabei sollten Arbeitnehmer direkt an Erfolg und Zugewinn von Unternehmen beteiligt sein.
Interdisziplinäre Teams entlang der Wertschöpfungskette fördern Kreativität und unterstützen die schnelle Lösungsfindung und das Experimentieren in komplexem Umfeld. Entsprechend sind auch agile Teams organisiert.
Eine Gesellschaft, in der Menschen als soziale Wesen nicht zur Existenzsicherung arbeiten müssen, sondern arbeiten dürfen, um sich selbst zu verwirklichen, hat die Chance, sich weiter zu entwickeln. Wenn es mit der Arbeit nicht mehr darum geht zu überleben, sondern die individuelle Situation in der Gemeinschaft und damit die Gemeinschaft insgesamt zu verbessern und für alle Menschen lebenswert zu gestalten, bekommt Arbeit eine neue Bedeutung.
Was wäre das für eine Firma, in der jeder hoch motiviert und wandlungsfähig ist, weil er flexibel seine Interessen beruflich wie privat immer vereinbaren kann? In der gemeinsam an einem Ziel gearbeitet wird, das Sinn hat und bei dem jeder die Arbeit machen kann, die Spaß macht und sich dabei viel Mühe gibt? Ist da das Messen von geleisteten Arbeitsstunden noch wichtig? In der Leistung und Ergebnis wichtiger ist als abgesessene Stunden? In der gemeinsam und miteinander statt gegeneinander gearbeitet wird? Was wäre das für eine Gesellschaft, in der dieses Verständnis besteht und nur solche Firmen bestehen?
Vielen Dank an den Internet-Unternehmer und Advisor Alain Veuve, dessen bereits 2015 erschienener Blog-Beitrag mich motiviert hat, diesen Beitrag zu schreiben. Da ich seine Meinung Teile, konnte ich viele Teile seines Artikels inhaltlich übernehmen.
(Das verwendete Bild ist von Lee Roberts – Vielen Dank!)
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