Agilität will jeder haben. Keiner möchte zu den “ewig Gestrigen” gehören. Kaum ein Unternehmen möchte nicht mitschwimmen. Denn natürlich hat jeder verstanden, wie wichtig Agilität ist. Jedem ist klar – die neue digitale Gesellschaft macht es nötig. Alle sind dabei und alle machen das schon längst. Und trotzdem scheitern irgendwann viele Initiativen, werden gute Ideen nicht zu Ende geführt und man besinnt sich zurück auf eine moderner angepinselte Version der alten Strukturen und Ideen, in denen man sich sicher und geborgen fühlt.
Das schöne Bild von Agilität, das jeder vermeintlich verstanden hat und für gut befindet, bekommt dann die Flügel gestutzt. Initiativen geht das Geld aus, Projekte werden gestoppt oder deren Ziel zur Unbrauchbarkeit verändert. Agilität ist dann nicht mehr schön anzusehen. Von “funktionieren” kann gar keine Rede mehr sein. Und dann gibt es Kollegen die auf einen zukommen und sagen: “Agil? Das geht bei uns nicht. Wir haben in unserer Abteilung Scrum einen Tag ausprobiert und es hat nicht funktioniert.” (Das ist tatsächlich so geschehen!)
Agilität ist nichts, was sich durch die Einführung eines Tools ausrollen lässt. Agilität lässt sich nicht als abgeschlossenes Projekt einführen. Agile Fertigpakete sind auch nicht der Heilsbringer für marode Geschäftsideen und eingerostete Arbeitsorganisation. Agilität kann man nicht machen. Agil kann man sein oder werden. Agilität ist kein Tool, kein Prozess, sondern eine Haltung und ein Wertesystem für eine sich immer wieder und immer schneller neu ordnende Gegenwart und Zukunft der Wirtschaft und ganzen Gesellschaft. Es geht um einen grundlegenden und tiefgreifenden Wandel. Beschränkt auf Prozesse zitiere ich gerne Thorsten Dirks, der bis ins Jahr 2017 CEO der Telefónica Deutschland AG war: “Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.”
Übertragen auf das Thema Agilität könnte das dann so heißen: “Wenn du s(S)cheiße agilisierst, dann hast du agile Scheiße.” Agile Scheiße erkennt man dann an Sätzen wie: “Das habe ich doch gleich gesagt, dass das so nicht funktioniert”. Oder “Das machen wir doch schon immer so, wir sind also schon immer agil.” Und es werden Argumente ausgekramt wie “wir sind zu groß”, “wir sind zu klein”, “wir sind noch nicht reif”, “wir brauchen das doch nicht”. Natürlich ist das alles Quatsch. Woran liegt es, dass so häufig Initiativen rund um Agilität nicht zum Fliegen gebracht werden? Warum macht sich so häufig das Gefühl breit, dass “Agilität” scheitert?
Nach meiner Beobachtung in den letzten Jahren in mehreren Organisationen gibt es ein paar Dinge, die sich wiederholen. Dabei erhebe ich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und freue mich über Ergänzungen, weitere Ideen und einen Austausch zu dem Thema. Eingefallen sind mir die folgenden sieben Themen, die immer wieder in unterschiedlicher Intensität auftauchen.
- Agilität ist mehr als Flexibilität (mehr dazu)
Unternehmen setzen Agilität und Flexibilität häufig gleich. Dabei werden sie anpassungsfähig, aber nicht beweglich und das reicht nicht aus. Mitarbeiter müssen nicht flexibel, sondern agil sein und brauchen organisatorische Rahmenbedingungen, die das ermöglichen und fördern. - Agilität ist mehr als Scrum (mehr dazu)
Die Einführung von Scrum kann helfen um die viel größere Veränderung zu begleiten, durch die Mitarbeiter agil werden und sein können. Scrum einzuführen kann ein Anfang sein, sich darauf zu beschränken reicht aber nicht aus. - Angst vor Neuem und geliebtes Altes (mehr dazu)
Es gibt psychologisch und neurologische Gründe, die das Einlassen auf Neues schwer machen. Die Veränderungen hin zu agilen Unternehmen sind in Summe massiv und begleitet durch Veränderungsinitiativen, die häufig nicht an den Bedürfnissen der Mitarbeiter ausgerichtet sind. - Sparwahn: Agilität machen und lassen (mehr dazu)
Häufig suchen Unternehmen in gewohnten Mustern Methoden, um effizienter zu werden, um bestehendes Geschäft kostengünstiger umzusetzen. Das hebt nicht den eigentlichen Nutzen agiler Arbeitsweisen und wird der Gegenwart und Zukunft nicht gerecht. - Falsche Dimensionierung (mehr dazu)
Agil sein nur in der IT, nur innerhalb einzelner Silos reicht ebenso wenig, wie das flächendeckende Überstülpen neuer Ideen durch groß angelegte Veränderungsprojekte. - Clash der Kulturen (mehr dazu)
Unterschiedliche Kulturen in einem Unternehmen durch eine punktuelle Einführung für Agilität verhindert übergreifende Kollaboration und das Arbeiten an gemeinsamen Zielen. - Dilemma unterschiedlicher Führungsstile (mehr dazu)
Neben einem misstrauischen und auf Kontrolle basierenden Menschenbild behindert auch ein falsches modernes Führungsverständnis die Selbstorganisation und blockiert damit eine Grundvoraussetzung in Agilität. - Gefühl und Wirklichkeit (mehr dazu)
Das Gefühl, gescheitert zu sein, entspricht oft gar nicht der Wirklichkeit. In der täglichen Arbeit geht der Blick für die vergangenen Erfolge verloren.
(Das verwendete Bild ist von tup wanders – Vielen Dank!)
11 Comments
Leave a CommentAgil scheitert, weil es angeordnet wird. Agil scheitert, weil es überall angewandt werden muss und niemand weiß wie. Agil scheitert, weil es als Religion verkauft wird und keinen Respekt gegenüber der Leistung der Menschen zeigt, alles war bisher falsch, nur ich, Agil, bin richtig. Agil scheitert, weil alles agil sein soll.
Der einzige Zweck der Agilität(Scrum, Kunbun) ist Fließbandarbeit, Druck an Mitarbeiter ausüben, Kontrolle der Mitarbeiter und Wahnvorstellung die utopisch ist so schnell wie möglich viel zu “liefern”. Dies ist nunmal jedoch mit Computer Sciences nicht vereinbar, nicht mit Software-Entwicklung, schon garnicht in der Forschung. Wer das Gegenteil behauptet, wird es nie kapieren.
Agilität ist ein Motivation-Killer. Die meisten Projekte scheitern und werden scheitern.
Ein weiterer Aspekt ist fehlendes internes Wissen. Wenn man bedenkt wie weitreichend eine agile Transition ist, sind interne Wissensträger unerlässlich, auch um obige Themen zu erklären und im Unternehmenskontext einzubringen. Andere Veränderungen die sogar weniger weitreichend sind, würden durch Unternehmen nie ohne internes Wissen umgesetzt. Dafür wird aber auch eine andere Art der Wissensvermittlung benötigt. Menschen auf einen zweitägigen Workshop schicken und dann zu erwarten, dass diese genug operatives Wissen angesammelt haben um eine Transition sinnvoll zu unterstützen ist ein traditioneller Trugschluss.
Was ich mir in dieser Betrachtung auch noch gut vorstellen könnte ist die Sichtweise auf die Beratung. Häufig liegt es nicht nur an einer Seite, wenn es zu Probleme kommt. Dies gilt im Speziellen, wenn im Unternehmen kein ausreichendes Wissen besteht.
Außerdem gibt es aus meiner Sicht einen Teil, der häufig vernachlässigt wird und dann von der “Intuition” des jeweilig Verantwortlichen liegt. Dabei geht es um die Themen, die getan werden müssen um eine Transition überhaupt zu starten, also bevor Berater und Coaches im Unternehmen sind. Wie z.B. wie schafft man die Bereitschaft, wie erklärt man im Unternehmen das Ausmaß einer Transition und die Kosten. Woher kommt das Geld. Ist dem Sponsor klar, was eine Transition kosten kann, um dann nicht irgendwann den Geldhahn zuzudrehen. Es gibt noch weitere Aspekte, aber das soll ja nur ein Kommentar werden 😀
Nur mal eine Hinweis, auch apple hat mittlerweile erkannt dass agil nur zu größeren Problemen führt, die haben bereits Ende 2019 bekanntgegeben, vom Agil sich zu trennen, das ist kein Gerücht. Agil produziert kein know-how, schon garnicht Innovation.
Agil ist bei drittklassigen Softwareprojekten gut aufgehoben, wo es nur funktionieren soll, das Team an Rand von Burnout geführt werden soll und der Kunde kein Geld hat aber alles haben will-> Das ist Agil und nicht mehr.
Spontan kann ich folgendes Muster ergänzen: Beibehalten von Incentivierung steht dem Kundenfokus und Schaffen von (Geschäfts)werten entgegen.