Immer häufiger läuft mir der Begriff „Organisationsrebell“ über den Weg. Und nach anfänglichem „hey, das ist cool“ komme ich nach weiteren Überlegungen zu einem anderen Punkt. Vielleicht liegt es ja an meiner pazifistischen Ader und meiner Assoziation mit dem Begriff Rebell oder schlichtweg mit meiner Vorstellung von Veränderung in Unternehmen. Ich glaube nicht, dass es Organisationsrebellen sind, die Unternehmen heutzutage brauchen, auch wenn ich selbst vielleicht mal mehr oder weniger freiwillig einer war.
Natürlich will ich damit weder die Arbeit der selbsternannten Organisationsrebellen in Frage stellen, noch an ihrer Kompetenz zweifeln. Im Gegenteil: Ich glaube, dass hier viele Menschen sind, denen Unternehmen zuhören sollten, weil sie gute Ideen haben. Nur der Weg der „Organisationsrebellen“ ist nicht der, den ich für zielführend halte, auch weil ich selbst die Erfahrung gemacht habe, damit nicht weit zu kommen.
Vor geraumer Zeit habe ich die von Tanmay Vora veröffentlichte Sketchnote „What rebels want from their boss…“ bei Twitter geteilt und das Bild hat dort viele „Retweets“ und „Likes“ geerntet. Inhaltlich finde ich die Punkte alle weiterhin gut, nur passen sie für mich nicht mehr zum Titel. Dazu weiter unten mehr.
Was ist ein Rebell?
Aber starten wir damit, was ein Rebell ist: Rebellen sind an individuellen oder kollektiven Aufständen beteiligt oder versuchen sie in Gang zu setzen. Vom lateinischen Begriff „rebellis“ (aufständisch) abstammend wird damit jemand bezeichnet, der sich der Obrigkeit widersetzt. Rebell ist ein eher neutraler Begriff. Während Terrorist eine negative Beschreibung eines Rebellen ist, ist Freiheitskämpfer eher positiv bewertet. Letztendlich geht es bei einer Rebellion aber immer darum, einen bestehenden Zustand durch einen anderen zu ersetzen, von dem die Rebellen überzeugt sind, dass er der Richtige sei.
So war ich unterwegs – überzeugt von einer neuen Welt die ganz anders sein sollte als die aktuelle und ich habe mir Verbündete gesucht (und sie auch gefunden), um gemeinsam dem Status Quo den Kampf anzusagen.
Legitimiert?
Ein Organisationsrebell kann nur eine nicht von der Organisation legitimierte Rolle sein. Und so unterwegs habe ich vor vielen Jahren als Scrum Master immerhin in meinem Gestaltungsspielraum auf Ebene der Teams Dinge bewegen können. Nur wirklich verändert hat sich nicht viel im Gesamtkontext der jeweiligen Unternehmen und damit war mein Wirkungsgrad sehr begrenzt. Das wiederum hatte zur Folge, dass ich letztlich auch für die Teams, für die ich Gutes tun wollte, nicht viel erreicht habe, außer Unzufriedenheit zu schüren. Weil Probleme transparent wurden. Und diese Probleme jenseits meines Einflussbereichs lagen. Und nicht verschwanden.
Wenn ein Organisationsrebell nicht legitimiert sein kann, dann ist der Titel des Bildes „What rebels wanr from their boss…“ absurd. Gleichzeitig macht es die Personen zu nicht legitimierten Untergrundkämpfern, die umgekehrt von der Organisation bekämpft werden.
Genau das musste ich erfahren – es war ein Kampf, Überzeugungen standen sich gegenüber und bekämpften sich. Und die, die bestehende Probleme für die Teams hätten ändern können, wollten sie nicht ändern. Das würde ja dem Rebellen in die Hände zu spielen.
Wie sinnvoll in einer solchen Beziehung zielführend Lösungen erarbeitet werden können, kann sich jeder selbst ausmalen.
(R)evolutionär?
In deutschen Unternehmen läuft viel schief und es ist gut möglich, dass Unternehmen ohne Veränderungen keine rosige Zukunft haben. Nachhaltige Veränderungen passieren aber in Unternehmen nicht radikal und revolutionär, sondern in vielen unterschiedlich großen Schritten eher evolutionär und vor allem kollaborativ. Ja, für die Veränderung braucht es ein (neues) Ziel, eine klare Vision einer neuen Organisation und die entsteht aus Ideen, Diskussion und Innovation und dafür stehe ich weiterhin in den Unternehmen, in denen ich arbeite. Rebellen wollen zwar ein Ist durch ein durch sie definiertes Soll ersetzen. Aber dieses „Soll“ kann nur individuell in Zusammenarbeit im Unternehmen entstehen, wenn es dauerhaft tragfähig für die Menschen in den Unternehmen sein soll. Hierfür muss mit Menschen in den Austausch gegangen werden, Menschen sollten gewonnen und in Entwicklungen einbezogen, statt wegen ihrer bisherigen Vorstellungen bekämpft werden.
Ein Kampf aus dem Untergrund weckt Misstrauen und belebt politische Spielchen, statt sie zu beenden. Das hat wenig von dem, was zumindest ich mir in einer neuen Organisation und unter einer modernen Form der Zusammenarbeit vorstelle, in der weniger Zeit für innere politische Spielchen und Machtkämpfe und mehr für konkrete Lösungslieferung verwendet wird.
Neue Vorbilder statt Rebellen
Was Organisationen aus meiner Sicht brauchen, das sind neue Vorbilder statt Rebellen, neue Impulsgeber und ein viel höheres Maß an Kollaboration. Unternehmen brauchen keine Polarisierung, keine einfache „gut“ gegen „schlecht“ oder „richtig“ gegen „falsch“ Machtkämpfe, weder im Kleinen, noch im Großen, sondern Netzwerker, die in einen Austausch auf Augenhöhe gehen. Die eine neue Welt kontinuierlich weiter gestalten und möglich machen, statt als Rebell das eigene vom Status Quo abweichende Bild anderen Menschen entweder offen und mit „Waffengewalt“ oder aus dem Untergrund „hinterrücks“ aufzuzwingen unter dem Vorwand, das neue Richtig besser zu wissen als das alte Falsch. Unternehmen brauchen „Macher“. Konkreter „Möglichmacher“. Und „intelligente Kollaborateure“. Statt rebellische Saboteure.
Nach einigen Jahren Erfahrung in denen ich auch eine Zeit lang als Rebell unterwegs war bin ich um so begeisterter zu erleben, wie viel mehr “Vorbild sein” bewegt, Mitstreiter begeistert, einen Austausch fördert und so tatsächliche Verbesserung und Veränderung erzielt.
Denkende Mitarbeiter
Zurück zum Bild von Tanmay Vora. Ein Merkmal eines Rebellen ist es, aufständisch zu sein, sich der Obrigkeit zu widersetzen. Gleichzeitig ist ein wichtiger Bestandteil der heutigen Herausforderungen das aktuell vielerorts vorherrschende Führungsverständnis und die damit zusammenhängenden Organisationsstrukturen. Die Frage, was ein „Rebell“ (Verfechter der neuen und Bekämpfer der alten Welt) von seinem „Boss“ (Vertreter und Sicherer der alten Welt) will, ist absurd. Das wäre, wie wenn die Rebellen in Star Wars die Herrschaft des galaktischen Imperiums um Verständnis und Anerkennung für ihre Taten bitten würden.
Was das Bild dennoch gut beschreibt, das sind denkende, selbstbestimmte, engagierte Mitarbeiter und das wiederum ist kein Rebell, der vielleicht arbeiten und neu gestalten, aber nicht „mitarbeiten“ und „mitgestalten“ und damit das System kollaborativ und sukzessiv verändern will. Das bedeutet durchaus auch, für seine Meinung einzutreten, sie zu verteidigen. Das kann rebellisch wirken. Mit dem Zweck, gemeinsam die beste Lösung zu erarbeiten, ist es das aber nicht.
Möglichmacher
Ich plädiere also dafür, keine Rebellion offen oder aus dem Untergrund heraus zu starten – auch wenn es sich noch so sexy anhört – sondern zielführend als „Möglichmacher“ aufzutreten und Dinge im eigenen Gestaltungsspielraum zu verändern als selbstverständlichen Teil der täglichen Arbeit. Das wird helfen, Organisationen dahin zu verändern, wo wir sie brauchen, wo auch immer das in naher oder ferner Zukunft sein wird.
(Das verwendete Bild ist von nolifebeforecoffee – Vielen Dank!)