Vor mehr als zwei Jahren habe ich einen Tweet gelesen, der mich zum Nachdenken gebracht hat. Um meine Gedanken zu sortieren, habe ich diesen Beitrag geschrieben, habe ihn aber nicht rund abschließen können. Jetzt bin ich etwas weiter. Deswegen mit mehr als zwei Jahren Verzögerung mein Denk-Experiment: Ist Management dumm?
Meine erste Bauchreaktion war Ablehnung und es juckte mir in den Fingern, darauf zu reagieren. Es fing an mit einem Zitat von Gerhard Wohland vom PM Camp Dornbirn, das mir über eine Bekannte im Twitterfeed über den Weg lief:
Früher hat der Klügere die Dümmeren gesteuert. Heute ist das andersrum.
Gerhard Wohland
Glaube ich daran, dass im Gegensatz zu früher heute die Dümmeren die Klügeren steuern? Schnell wird mir klar: ganz allgemein will ich die These nicht betrachten, dazu bin ich zu wenig Philosoph. Spannend finde ich die Frage bezogen auf Manager, Management und ich gehe davon aus, dass sich Gerhard Wohland mit der provokanten Aussage auch darauf bezieht.
Wie ich das Zitat verstehe
Wichtige Grundlage für die Ideen von Frederick W. Taylor und dem von ihm gegründeten Prinzip für die Prozesssteuerung von Arbeitsabläufen (Taylorismus) ist die hierarchische Trennung von Denken und Handeln. In einer Zeit, in der vor allem ungelernte Landarbeiter verstärkt anfingen in Fabriken zu arbeiten und gut gebildete Menschen selten waren, hatte das durchaus Sinn. Damals haben die Klügeren die Dümmeren gesteuert.
In der heutigen Zeit ist Expertenwissen und Erfahrung nicht mehr einer kleinen gebildeten exklusiven Gruppe vorbehalten und das direkte Sammeln von Erfahrungen und Lernen im operativen Geschäft macht die Mitarbeiter zu den größeren Experten für relevante Entscheidungen. Damit sind die Mitarbeitenden sozusagen die Klügeren und das weiter vom Markt entfernte Management die Dümmeren. Das Arbeiten in Organisationsstrukturen nach einem tayloristischen Modell – hierarchisch in einer Pyramide organisiert – führt dazu, dass damit die Dümmeren die Klügeren führen.
Klingt logisch? Ja.
Warum ich spontan dennoch Bauchschmerzen mit dem Zitat habe: Auch wenn ich selbst Situationen kenne, in denen ich etwas “dumm” finde, halte ich grundsätzlich eine wertende Kategorisierung und Unterscheidung zwischen dummen und klugen Menschen nicht für richtig.
Was macht eigentlich klug oder dumm aus?
Ist es Wissen oder etwas anderes? Dummheit bedeutet “mangelnder Verstand” und “mangelnder Verstand” bedeutet eine wenig ausgeprägte Fähigkeit eines Menschen, zu denken und zu urteilen. “Urteilen” bedeutet, etwas zu prüfen und sich dann eine Meinung zu bilden. “Meinung” ist die persönliche Ansicht, die jemand über etwas hat. Wer dumm ist, dem fehlt also die Fähigkeit, sich überlegt und geprüft eine persönliche Meinung über etwas zu bilden. Es kann Menschen geben, die viel wissen und trotzdem nicht in der Lage sind, sich eine persönliche Meinung über etwas zu bilden. Können Menschen also dumm sein?
Können Menschen dumm sein?
Nein. (Gesunde) Menschen können nach obiger Definition nicht dumm sein. Sie können lediglich in einer Art und Weise handeln, die bei anderen den Eindruck dummer Entscheidungen hinterlässt. Der Eindruck entsteht wiederum aus dem Kontext des Betrachters heraus. Dazu fällt mir das bekannte Zitat aus dem Film “Forrest Gump” ein:
Stupid is as stupid does.
Forrest Gump
Dumm ist der, der Dummes tut. Aha. Es gibt also keine dummen Menschen, sondern nur dumme Handlungen. Was bedeutet denn, etwas Dummes zu tun? Und würde eine Person absichtlich etwas tun, was sie selbst als dumm bezeichnen würde? Nein. Meine feste Überzeugung ist: Menschen treffen immer in ihrem Kontext betrachtet kluge Entscheidungen.
These: Wir empfinden eine Handlung als “dumm”, wenn sie nicht der Art und Weise entspricht, die wir selbst in unserem Kontext für richtig halten. Häufig wissen wir dabei aber nur einen Bruchteil der Dinge, die den anderen Menschen dazu verleitet haben, auf diese Art und Weise zu handeln. Menschen sind also – von möglich unterschiedlichen Intelligenzquotienten abgesehen (und ob sich davon Schlauheit ableiten lässt, könnte man auch diskutieren) – nicht dumm, sondern treffen Entscheidungen, die unterschiedlich klug oder dumm wahrgenommen werden. Und die Wahrnehmung hängt davon ab, wie man selbst entscheiden würde. Die Entscheidungen und Handlungen selbst waren aus der Situation und dem Kontext der handelnden Person betrachtet immer klug. Oder frei nach Prof. Kruse: Im eigenen Kopf sind die Gedanken immer richtig. Also nicht dumm.
Da kam mir die Keynote von Gunter Dueck in den Sinn, die ich bei der Manage Agile Konferenz erleben durfte. Dort zitierte er in seiner Keynote zum Thema “Schwarmdumm” den italienischen Autor Carlo M. Cipolla:
Dummheit ist der Akt, anderen zu schaden, ohne sich selbst zu nützen.
Carlo M. Cipolla
Manager sind ihrem Unternehmen verpflichtet und treffen Entscheidungen so, dass es sich und damit dem Unternehmen nutzt, aus ihrer Sicht in ihrem Kontext schlau erscheint. Ob Entscheidungen richtig waren oder nicht, das kann man oft erst beurteilen, wenn die Konsequenzen aus den Entscheidungen sichtbar werden. Es kommt immer wieder vor, dass vermeintlich als “dumm” wahrgenommene Entscheidungen sich hinterher oder mit mehr Informationen durchaus als schlau herausstellen. Manager sind also natürlich genau so wenig dumm wie ihre Mitarbeitenden. Und wie ist das mit Management?
Und wie ist es mit Management?
Was sagt Wikipedia zum Begriff Management?
Management ([‘mænɪdʒmənt]; lateinisch manus, „Hand“ und lateinisch agere, „führen“, „an der Hand führen“) ist ein Anglizismus für jede zielgerichtete und nach ökonomischen Prinzipien ausgerichtete menschliche Handlungsweise der Leitung, Organisation und Planung in allen Lebensbereichen.)
Was sagt das Gablers Wirtschaftslexikon zum Begriff Management?
Der ursprünglich angloamerikanische Begriff Management bezeichnet heute im betriebswirtschaftlichen Sprachgebrauch einerseits – in funktionaler Perspektive – die Tätigkeit der Unternehmensführung. Andererseits wird auch – in institutioneller Perspektive – das geschäftsführende Organ, also die Gruppe der leitenden Personen eines Unternehmens als Management bezeichnet. Als solches bezeichnet der Begriff sowohl eine Institution als auch eine Funktion in gemeinnützigen, öffentlichen oder privatwirtschaftlichen Organisationen.
Management bezeichnet also zum einen die Gruppe der leitenden Personen, als auch deren Tätigkeiten. Beides steht in einem direkten Zusammenhang zu Menschen, die – wie oben beschrieben – nicht dumm sind, sondern im schlimmsten Fall in einer Art handeln, die andere Menschen als nicht schlau in dem Moment wahrnehmen.
Fazit
Es gibt keine dummen Manager und auch kein dummes Management. Es gibt keine dummen Menschen. Und immer dann, wenn ich den Eindruck habe, dass Menschen um mich herum „dumm“ sind, dann kann das eine Einladung zur Überlegung sein, warum ich selbst die Handlung als nicht schlau wahrnehme und welche Informationen mir vielleicht fehlen, um die Gründe für die Handlungen besser zu verstehen.
Letztendlich ist das ein Teil meines positiven Menschenbildes, das ich mir trotz all der immer wieder selbst wahrgenommenen vermeintlichen Dummheit von Menschen in der Welt erhalten möchte.
2 Comments
Leave a CommentNaja. Eine sehr vereinfachte Analyse, welche sich allein auf die intellektuelle Aussage bezieht.
Wie erwähnt, werden mittlerweile immer mehr Experten mit Fachwissen von Managern gesteuert. Warum aber schaffen es Manager nicht fachliche Entscheidungen den Experten zu überlassen? Ich denke ein Manager vollzieht bestimmte Handlungen, nicht weil es um das Führen von Menschen geht, sondern mittlerweile eher um das eigene Ansehen zu verbessern. In einer Leistungsgesellschaft wie heute, müssen Manager “Duftmarken” setzen, wenn sie weiter aufsteigen wollen. Man muss sichtbar sein. Und dies ist meist deren präferiertes Ziel. Da werden auch bewusst Entscheidungen getroffen, welche die Fachmänner in Sackgassen manövrieren. Und der gute Manager schafft es, genau dann auf die nächste Stufe zu stolpern, wenn der Karren schon fast an die Wand gefahren ist. Den Scherbenhaufen, den er angerichtet hat muss er freilich nicht mehr aufräumen… Wahrscheinlich wird ihm auf der neuen Ebene dafür noch gratuliert.
Ich erinnere mich an einen früheren Projektmanager und dessen Aussage: “Wenn man zu viel weiß, kann man keine guten Entscheidungen treffen.”
Ferner gibt es genügend Manager, und das sind ebenfalls persönliche Erfahrungen, welche nicht in der Lage sind Entscheidungen zu treffen. Was noch viel schlimmer ist als eine “dumme” Entscheidung zu tätigen.
Managen und Managen sind zwei paar Schuhe, abhängig davon was man als Manager erreichen will und wie man für sich Erfolg definiert. Es gibt Manager die arbeiten für das Team und es gibt Manager die arbeiten für die eigene Karriere. So oder so scheint mir hier der einzig kluge im Bunde der Manager zu sein, da er die Fäden in der Hand hält. Somit wären die Personen darunter wieder die dummen…
Man kann allerdings das Sprichwort “Der klügere gibt nach.” heranziehen. Dann sieht es wieder ganz anders aus. Man kann da in jede erdenkliche Richtung argumentieren… allerdings muss man immer die Entscheidungen in deren Kontext sehen.
Wenn eine disziplinarische Führungskraft eine fachliche Entscheidung über ein Thema trifft, von der sie/er nichts versteht, dann wird dies vermutlich in 99% der Fälle eine dumme sein.
Spannend, dass du in deiner Abhandlung schlussendlich zum Treffen von Entscheidungen gelangst. Denn tatsächlich gibt es einen sozial erwünschten bzw. akzeptierten Normbereich innerhalb dessen Handlungsexperimente bzw. ein Scheitern weniger verurteilt werden. Das Scheitern eines Vorhabens ausserhalb dieses Bereichs wird dann allerdings sozial bestraft und schränkt damit das eigene Handeln u.U. stark ein vgl. Kahneman. Es braucht also vermeintlich Mut/Dummheit sozial “riskante” Entscheidungen “out of the box” zu treffen;)