„Scrum ist ein Framework zur nachhaltigen Entwicklung komplexer Produkte.“ So lautet der erste Satz zur Zielsetzung aus dem Scrum Guide von Ken Schwaber und Jeff Sutherland. Scrum folgt den Grundsätzen und Prinzipien des agilen Manifests und sowohl Schwaber als auch Sutherland gehören zu prominenten Unterzeichnern des Manifests. Aber ist Scrum deswegen automatisch „agil“?
Das Wort „agil“ stammt aus dem lateinischen (agilis von agere) und bedeutet „tun, machen, handeln“. Es bedeutet auch so viel wie „zu schnellen Bewegungen der Gliedmaßen fähig“ und als sinnverwandte Worte werden „behänd“ und „beweglich“ benannt. Agile Softwareentwicklung bedeutet also, dass man schnell reagieren kann und beweglich bleibt.
Scrum ist so aufgebaut, dass es neben klaren Verantwortlichkeiten und Rollen die Möglichkeit bietet, in kurzen Abständen auf sich ändernde Rahmenbedingungen reagieren zu können. Wie „agil“ aber Scrum wahrgenommen wird, das hängt davon ab, womit man dieses Vorgehen vergleicht bzw. von welchem Prozess man kommt.
Wird Scrum in einem schwergewichtigen großen Unternehmen eingeführt wird, in dem viele Prozesse die Arbeit beeinflussen (und meistens verlangsamen), dann wird agile Software Entwicklung mit Scrum sicherlich eine Steigerung der Entwicklungsgeschwindigkeit zur Folge haben, da man im Vergleich zu vorher beweglicher wird und schneller reagieren kann also zuvor.
Ich habe bisher die Einführung in kleineren Unternehmen erlebt, in denen mit Scrum der erste wirkliche Prozess überhaupt eingeführt wird. In diesen Fällen ist der Begriff „agil“ zwar richtig, aber irreführend, weil das Arbeiten in einem (leichtgewichtigen) Prozess gegenüber einer Umsetzung ohne Prozess zu einem gewissen Verlust von „Beweglichkeit“ und „Reaktionsfähigkeit“ führt.
Unternehmen, die bisher ohne wirklichen Prozess sehr „agil“ unterwegs waren (aber deswegen nicht zwangsläufig dem agilen Manifest und seinen Prinzipien folgten), bringt ein Vorgehen nach Scrum andere Vorteile. Das oberste Ziel dieses agilen Frameworks zur Softwareentwicklung ist nicht der Gewinn von Flexibilität. Blicken wir nochmal auf den ersten Satz aus dem Scrum-Guide: „Scrum ist ein Framework zur nachhaltigen Entwicklung komplexer Produkte.“ Ziel ist also nicht eine flexiblere, sondern eine nachhaltigere Entwicklung.
Durch Scrum werden Menschen in die Lage versetzt, komplexe adaptive Aufgabenstellungen nachhaltig anzugehen und produktiv und kreativ Produkte mit dem höchstmöglichen Wert auszuliefern. Gleichzeitig gewinnt man ein nötiges Maß an Planbarkeit, ohne ganz auf Flexibilität verzichten zu müssen. Ein wesentlicher Bestandteil ist eine kontinuierliche Verbesserung durch regelmäßiges Inspizieren und Anpassen. Der Gewinn dieser Vorteile geht in kleineren Unternehmen, die mit Scrum ihren ersten Entwicklungsprozess einführen, zu Lasten vorher wahrgenommener Beweglichkeit bzw. Flexibilität – also geht hier die Einführung von Scrum zu Lasten von Agilität.
Flexibilität und Geschwindigkeit sind nicht die einzigen anzustrebenden Verbesserungen und sollten nicht die einzigen Gründe für die Einführung von Scrum sein. Scrum ist – ob mit oder ohne Gewinn von Agilität – ein sehr gutes Framework für die Entwicklung komplexer Produkte (oder Projekte).