Scrum Master: zu hohe Erwartungen

In den letzten beiden Beiträgen habe ich festgestellt, dass sich Scrum Master nicht rechnen und dass ihre relevante Aufgabe die Verbesserung der Zusammenarbeit in der Organisation ist. Dabei gibt es die einen, die mit der Rolle des Scrum Masters wenig anfangen und sie für Zeit- und Geldverschwendung halten, weil ihr Beitrag zum Erfolg eines Teams nicht messbar ist. Und es gibt die anderen.

Verfechter der Rolle stellen lange Listen auf, welche Aufgaben ein Scrum Master erledigen können muss und verteidigen damit die Rolle, weisen auf die Notwendigkeit hin. Subsummieren kann man diese ganzen Aufgaben unter “Verbesserung der Zusammenarbeit”, was das Spektrum der Fähigkeiten an die Rolle nicht schmälert. Die Länge der Liste führt zu einem weiteren Problem mit der Rolle: Die Erwartungen an den jeweiligen Scrum Master im Team sind zu groß, die Latte hängt viel zu hoch.

Ja, es gibt verdammt viel zu tun

Eine im Zusammenhang mit Scrum Mastern häufig verwendete Beschreibung ist der englische Begriff “Facilitator”, für den es mit Unterstützer, Vermittler, Moderator oder Schulungsleiter ebenso viele wie allesamt passende Übersetzungen gibt. Er ist dabei Change Agent für das Team und mindestens auch für die direkt ans Team angrenzende Umgebung. Wenn er seine Rolle als “Agent für Veränderung”, “allgemeiner Unterstützer” und “Schulungsleiter” für das Team ernst nimmt, kommt er um ein großes und sich auch veränderndes Aufgabenspektrum nicht herum.

Leider ist das noch nicht alles. Denn Teams durchlaufen immer wieder unterschiedliche Phasen. Laut Bruce Tuckmans Phasenmodell gibt es vier (bzw. fünf), geht man nach dem Team Performance Model von Alan Drexler und David Sibbet sogar sechs Phasen. Jede dieser Phasen birgt eigene Herausforderungen und damit auch andere Anforderungen an den Scrum Master.

Geht man nach dem Team Performance Modell, muss der Scrum Master zunächst dabei unterstützen, dass eine Team-Identität entsteht und sich die Mitarbeiter dem Team zugehörig fühlen, um anschließend dabei zu helfen, dass die Mitarbeiter aufeinander Bezug nehmen, als Team gradlinig und zuverlässig werden. Anschließend werden Vision und Ziele des Product Owners für das Teams unterstützt durch den Scrum Master wichtiger, um dann ein klares Rollenverständnis und diszipliniert angewandte Prozesse zu etablieren. Wenn dann in einem gut funktionierenden Team Erwartungen sogar übertroffen werden, müssen aktiv gesteuerte Veränderungen im Team Langeweile vorbeugen. Da sind alle Hände voll zu tun. Trotz allem ist Scrum Master häufig eine Rolle, die neuen Mitarbeitern mit wenig Erfahrung übertragen wird. Ist das sinnvoll?

Unerfahrene Scrum Master

Der Einsatz von unerfahrenen Scrum Mastern vollzeit und alleine in einem Team ist keine gute Idee. Es käme auch niemand auf die Idee, einen Junior-Geschäftsführer oder einen Junior-XYZ-Leiter alleine Verantwortung zu übertragen. In erfahrenen und/oder gut funktionierenden Teams können unerfahrene Scrum Master wenig lernen, nicht wachsen und keinen Nutzen bringen. In unerfahrenen und/oder nicht gut funktionierenden Teams können sie beim eigenen Lernen viel Schaden anrichten, denn soziale Gefüge wie Teams eignen sich nicht zum unbedarften Experimentieren. Ein unerfahrener Scrum Master wird also viel Zeit für persönliches Lernen brauchen und kann damit nicht vollzeit nur für sein Team da sein und wird zudem wenig Nutzen bringen. Die Lösung ist einfach. Wir brauchen erfahrene Scrum Master. Oder?

Erfahrene Scrum Master

Ein erfahrener guter Scrum Master ist Moderator, Mediator, Trainer, Coach. Er meistert die Scrum Prozesse, kann systemisch denken, versteht die Tücken der Kommunikation, Motivation und von Veränderungsmanagement. Er ist Qualitätsmanager, Entwickler, hat Psychologie studiert, eine didaktische und pädagogische Ausbildung, eine hohe emotionale Intelligenz und mindestens 30 Jahre Berufserfahrung. Dabei ist er jugendlich frisch und versteht den Umgang mit dem Senior Management ebenso wie mit dem Berufseinsteiger jeglicher Fachgebiete. Das ist aber ganz schön viel. Das lastet einen erfahrenen Scrum Master für ein Team vollzeit aus – so die berechtigte Argumentation vieler Vertreter (ich war auch so einer) der “1 Team 1 Scrum Master Regel”.

1 Team 1 Scrum Master Regel

Kein Problem: Wenn uns also ein Junior Scrum Master nicht viel hilft, dann arbeiten wir nur mit erfahrenen Scrum Mastern und ordnen jedem Team einen dieser Supermänner zu, der dann diesem Team zur Hyperperformance verhilft. Kann das gehen? Nein, denn kaum jemand wird mit noch so viel Erfahrung der Unterschiedlichkeit und den Anforderungen in Gänze gerecht. Meiner Erfahrung nach gibt es diese Scrum Master kaum und je erfahrener sie sind, um so weniger wollen sie dauerhaft beschränkt auf ein Team arbeiten. Hinzu kommt, dass auch diese Superhelden ihre Schwerpunkte haben und das Team davon abhängig in manchen Bereichen besser und in anderen schlechter unterstützen können. Irgendwann wird er das Meiste vermittelt haben, was er gut vermitteln kann.

Zu viel erwartet, zu wenig erfüllend

Merkste was? Genau. Das ist alles viel zu viel erwartet für eine Person, ganz egal ob sie viel oder wenig Erfahrung, breit oder tief aufgestellt ist. Für die Meisten erfahrene Scrum Master (die ich kenne) ist über kurz oder lang das Arbeitsfeld beschränkt auf lokale Optimierung von einzelnen Teams keine erfüllende Aufgabe mehr. Die “1 Team 1 Scrum Master Regel” – die Vorstellung, dass ein Scrum Master als fester Teil des Teams sein Team über Jahre hinweg begleitet – ist keine gute Idee.

In diesem und den letzten beiden Beiträgen “Scrum Master rechnen sich nicht” und Die relevante Aufgabe des Scrum Masters” habe ich vier Gründe formuliert, warum ich eine eins zu eins Zuordnung eines Scrum Masters zu einem Team für nicht praktikabel halte.

  • 1 Scrum Master 1 Team rechnet sich nicht
  • Von diesem einen Scrum Master wird zu viel erwartet
  • Man findet den Superman nicht, der die Erwartung erfüllt
  • Findet man ihn doch oder entwickelt er sich im Unternehmen, ist die Arbeit für einen Scrum Master in einem Team bald nicht mehr erfüllend

Also einfach weglassen? Nein, denn komplexe Probleme brauchen für ihre Lösung ein hohes Maß an Kreativität, die nur in Zusammenarbeit in Teams gegeben ist. Diese Zusammenarbeit muss auf einen möglichst guten Stand gehoben werden . Das ist die relevante Aufgabe des Scrum Masters, die in ihrem Gesamtumfang nicht nebenbei gemacht werden kann. Wir müssen den Einsatz von Scrum Mastern (in Scrum, vielleicht nennen wir ihn außerhalb von Scrum Collaboration Master?) gewährleisten und so umdenken und reorganisieren, dass er den Teams mehr Nutzen bringt und die Mitarbeiter in der Rolle dauerhaft zufrieden stellt. Dazu mehr in meinem nächsten Beitrag. Wirklich.

(Das verwendete Bild ist von Steven Pisano – Vielen Dank!)

One Comment

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  1. Hi Daniel,

    sehr interessante Blog-Beitragsreihe. Ich kann momentan gar nicht ausdrücken, wie sehr ich dir zustimme 🙂
    Ich bin sehr gespannt auf den nächsten Teil!

    Oli

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