„Solange der Leidensdruck nicht groß genug ist, wird sich nichts ändern.“ Ein Satz wie in Stein gemeißelt. Er ist so vertraut, dass er kaum noch hinterfragt wird. Als wäre er ein Naturgesetz. Und die meisten werden ihn nicht nur aus dem Mund anderer kennen, sondern auch aus dem eigenen Denken.
Was aber, wenn genau das ein großer Denkfehler ist? Wenn Leiden nicht gleich Lernen ist? Wenn Schmerz zwar Bewegung auslöst aber Entwicklung verhindert? Wenn Organisationen nicht durch Krisen reifen, sondern durch etwas ganz anderes? Und was, wenn genau das Missverständnis „No Pain, no Change“ ein Grund ist, warum so viele Transformationen scheitern?
Die Geschichte vom edlen Schmerz
Unsere westliche Kultur ist geprägt von der Idee des edlen Schmerzes, dem Glauben, dass Schmerz der unweigerliche Preis für Entwicklung sei. Ohne Leid keine Läuterung. Ohne Krise keine Erkenntnis. Ohne Schmerz kein Wachstum. Diese Narrative sind tief verwurzelt und das nicht nur philosophisch, sondern vielleicht sogar religiös durch unsere seit Jahrhunderten christlich geprägte Kultur, in der ein Erlöser kam, Leid auf sich nahm, um uns von unseren Sünden zu befreien. Und ganz unabhängig davon, ob man selbst gläubig ist oder nicht, prägte diese Vorstellung viele Jahre unsere Kultur, unser Verständnis.
Der Mensch als lernendes Wesen, das erst durch Scheitern erkennt. Kant schrieb in seiner Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht“ bereits 1784 vom „ungeselligen Geselligkeitstrieb“ und meinte das Spannungsverhältnis im Menschen, das sozialen Fortschritt gerade durch Reibung und Widerstand ermöglicht. Hegel beschrieb in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ etwa 50 Jahre später 1837 die „Weltgeschichte als Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ als Entwicklung, die sich durch Konflikt, Widerspruch und Krise vollzieht.
Auch Organisationen haben diese Ideen übernommen: Veränderung ist kein natürlicher Impuls, sondern eine Reaktion auf Mangel. Wandel kommt nicht aus Lust, sondern aus Last. Erst wenn es brennt, wird gelöscht. Und manchmal muss es eben erst richtig brennen, damit endlich etwas passiert.
Solche Erzählungen wirken unabhängig davon, ob sie wahr sind, sondern weil sie psychologisch entlasten. Sie geben Sinn im Rückblick. Strukturieren das Chaos. Rechtfertigen das Zögern. „Solange es nicht weh tut, müssen wir nichts ändern.“ Und sie spenden Trost, wenn alles schiefgeht. „Vielleicht war es ja nötig.“ Genau darin liegt ihr Risiko. Sie verleihen dem Schmerz eine Bedeutung, die er biologisch nie hatte und verleihen Passivität eine Tiefe, die sie systemisch nicht verdient. Was als „notwendiges Reifen“ dargestellt wird, ist oft nichts anderes als verspätete Reaktion. Und was als zwingende Notwendigkeit erscheint, ist vielleicht eher nur ein Denkfehler.
Warum Schmerz nicht klüger macht
Psychologisch betrachtet ist Schmerz ein Alarmsignal und kein Lehrplan. Er unterbricht, was gerade war, aber er eröffnet nicht automatisch, was als Nächstes kommt. Er macht wach, aber nicht weise. Als anschauliches Beispiel eignet sich das typische Beispiel der Herdplatte. Wer auf eine heiße Herdplatte fasst, lernt, sie künftig zu meiden, aber nicht, wozu man die Herdplatte nutzen kann. Die Erfahrung verhindert Wiederholung, aber sie erzeugt kein Verständnis.
Organisationen verhalten sich ähnlich. Wenn es richtig weh tut, zum Beispiel durch einen massiven Umsatzeinbruch, den Weggang zentraler Personen oder plötzliche Marktverwerfungen, wird selbstverständlich sofort reagiert. Dann ersetzt Aktivismus manche Analysen und es wird zurück gegriffen auf Bewährtes. Und wenn es sehr plötzlich sehr dramatisch wird, entsteht manchmal der Eindruck, als würde man sich im Cynefin-Framework plötzlich im Chaos-Quadranten bewegen, in dem Entscheidungen vor allem schnell und manchmal dann “irgendwie” getroffen werden. Prozesse werden verschärft, neue KPI-Kaskaden eingeführt, Verantwortlichkeiten verschoben. Viel Bewegung, viel Aktionismus, wenig Erkenntnis und noch weniger Verbesserung. Das System bekämpft Symptome, nicht Ursachen. Die Struktur bleibt und der Aktionismus tarnt sich als Veränderung.
Denn der Schmerz sagt nur eines: So nicht mehr.
Er sagt aber nicht: So ist es besser.
Es ist völlig klar, dass Schmerz aktiviert. Auch in Organisationen. Doch er aktiviert selten das, was Entwicklung trägt. Denn die Auslöser, beispielsweise ein Umsatzrückgang, eine Krise, ein finanzieller Einbruch, führen nicht automatisch zu Lernen, sondern erstmal nur generell zu einer Reaktion. Betrachtet man das neurobiologisch bei Menschen, übernimmt unter akuter Bedrohung das limbische System die Kontrolle. Es ist zuständig für Reflexe und nicht für Reflexion. Der präfrontale Kortex wäre der notwendige Bereich für reflektierte Perspektivwechsel und bewusste Abwägung. genau der bleibt dabei allerdings inaktiv.
Obwohl Organisationen keine Gehirne haben, verhalten sie sich auf struktureller Ebene oft vergleichbar. Nicht weil sie wie gestresste Menschen fühlen, sondern weil sie unter Druck ihre Muster zur Komplexitätsreduktion aktivieren. Sie reduzieren Offenheit, erhöhen Kontrolle, setzen auf Bewährtes. Was wie Rückschritt wirkt, ist funktional und ein Versuch, Handlungsfähigkeit zu sichern. Doch genau dadurch bleiben häufig die Denk- und Handlungsspielräume blockiert, die für echte Entwicklung nötig wären. Der Schmerz führt also auch in Organisationen zur Bewegung, aber selten zur Klärung. Er erzeugt Aktivität, aber nicht automatisch sinnvolles Handeln. Und er lenkt Organisationen oft tiefer in alte Muster, statt sie in neue Möglichkeiten zu führen.
Lernen braucht etwas anderes. Lernen braucht Unterbrechung. Einen inneren Bruch, der nicht als Gefahr abgelehnt, sondern als Einladung angenommen wird. Nicht zu sofortiger Lösung, sondern zu produktivem Nichtwissen. Das ist selten schmerzfrei. Aber es ist auch selten schmerzgetrieben.
Die Eleganz der Irritation
Genau genommen ist Schmerz nur eine spezifische Form von Irritation, und hier bei weitem nicht die produktivste. Komplexe soziale Systeme wie Organisationen verändern sich nicht durch Appelle, Visionen oder gute Argumente, sondern durch den strukturellen Druck, etablierte Routinen aufzugeben. Veränderung beginnt dort, wo bisherige Selbstverständlichkeiten ihre Anschlussfähigkeit verlieren. Wenn Dinge plötzlich nicht mehr zusammenpassen.
Ein Beispiel dafür ist die Corona-Pandemie. Von einem Tag auf den anderen war das physische Zusammentreffen nicht mehr möglich. Plötzlich funktionierten Videokonferenzen. Sicherlich war es auch eine Frage der Technologie, die sich rasant weiterentwickelt hat. Und dass sie sich so rasant weiter entwickelt hat, war sicher auch eine Reaktion auf die Pandemie. Entscheidender als der technologische Wandel war, dass die alte Logik – Zusammenarbeit braucht physische Präsenz – nicht mehr umsetzbar war. Der Zwang zur Anpassung entstand nicht aus Überzeugung, sondern aus struktureller Notwendigkeit. Und die Anpassung fand damit schneller und tiefgreifender statt, als es jede Appelllogik vermocht hätte.
In solchen Momenten laufen Routinen ins Leere, Erfolge werden unerklärlich, Ziele widersprechen sich gegenseitig. Was vorher funktionierte, verliert seine Wirkung. Der Impuls zur Veränderung entsteht nicht durch Schmerz, sondern durch eine tiefgreifende Irritation. Durch das Erleben von Inkongruenz, das nicht mehr ignoriert oder harmonisiert werden kann.
Dabei ist Irritation nicht gleich Schmerz. Schmerz führt häufig zu Abwehr oder zum Festhalten am Bekannten. Irritation dagegen kann Neugier auslösen. Sie fragt: “Was genau stimmt hier nicht mehr?” statt “Wie retten wir, was noch geht?” Sie öffnet die Tür zur Selbstbeobachtung, nicht zur Selbstverteidigung. Veränderung beginnt also nicht dort, wo das System leidet, sondern wo es beginnt, sich selbst anders zu sehen. Nicht im Reflex, sondern in der Reflexion.
Warum Schmerz nicht zum Lernen führt
Verletzliche Organisationen weisen häufig eine hohe Abwehrhaltung gegenüber Irritationen auf. Sie tun alles, um Schmerz zu vermeiden oder ihn zu kompensieren. Das ist vergleichbar mit einem Körper, der auf Verspannungen mit Schonhaltungen reagiert. Daraus resultiert eine paradoxe Bewegung. Ausgerechnet in dem Moment, in dem Offenheit gebraucht würde, verschließt sich das System.
Diese Reaktion ist tief in der Funktionslogik sozialer Systeme verankert. In unsicheren Situationen greifen Organisationen häufig zu Kontrollmechanismen. Führung verstärkt Prozesse und Strukturen, Mitarbeitende ziehen sich zurück, Zynismus breitet sich aus. Die Organisation agiert im Verteidigungsmodus. Die Energie fließt nicht in die Bearbeitung der Irritation, sondern in ihre Abwehr.
Neurobiologisch lässt sich dieses Verhalten nachvollziehen. In Bedrohungssituationen übernimmt das limbische System – der evolutionär ältere Teil des Gehirns – das Kommando. Der präfrontale Kortex, zuständig für Perspektivwechsel, Reflexion und komplexe Entscheidungsfindung, wird dabei weitgehend deaktiviert. Übertragen auf Organisationen bedeutet das, dass die Fähigkeit zum Lernen, zur Integration von Ambivalenz, zur Selbstbeobachtung eingeschränkt wird. Der Reflex dominiert die Reflexion.
Deshalb führt Schmerz nicht zu Entwicklung, sondern nur zu einer Reaktion. Erst wenn Organisationen in der Lage sind, Irritation nicht als Bedrohung, sondern als Erkenntnisquelle zu verstehen, entsteht ein Raum für Lernen. Dazu braucht es keine permanente Sicherheit im Sinne von Behaglichkeit, sondern eine Art irritierender Stabilität: Strukturen, die Halt geben, um Unsicherheit aushalten zu können.
Wenn nicht Schmerz, was dann?
Warum verändert sich trotzdem oft erst etwas, wenn es richtig weh tut? Warum reagieren Organisationen erst, wenn der Druck so hoch ist, dass Wandel unausweichlich erscheint? Die Antwort ist einfach und hier unterscheiden sich Menschen und Organisationen. Organisationen kennen keine Emotionen, also auch keine Lust. Organisationen lernen nicht, weil sie daran Spaß haben. Veränderung geschieht dann auch nicht aus dem inneren Antrieb und Wunsch nach Verbesserung, sondern aus funktionaler Notwendigkeit. Entwicklung wird angestoßen, wenn die bestehende Logik nicht mehr tragfähig ist und nicht, weil eine schönere Welt in Aussicht steht.
Ein Beispiel dafür sind Konzepte wie “New Work” oder “Agilität”. Sie scheitern häufig, weil sie als Wunschbilder kommuniziert werden, ohne die strukturellen Spannungen tatsächlich zu adressieren. Selbstorganisation wird idealisiert, bleibt aber folgenlos, wenn die dafür nötigen Voraussetzungen fehlen. Und zu den Voraussetzungen gehört eine funktionale Notwendigkeit. So entstehen Illusionen von Veränderung, die kulturell erwünscht, aber strukturell letztendlich irrelevant bleiben.
Organisationen handeln nicht aus Visionen heraus, sondern aus Relevanz. Die entscheidende Frage ist daher nicht: “Was wäre schöner?” oder “Was hätten wir gerne?” sondern: “Was funktioniert nicht mehr? Was ist nicht mehr tragfähig?” Erst wenn das System erkennt, dass alte Muster nicht mehr anschlussfähig sind, wird Veränderung möglich. Nicht aus Idealismus, sondern aus systemischer Notwendigkeit um weiter zu bestehen.
Die produktive Irritation
Was also tun? Die produktive Irritation ist eine andere Logik der Veränderung. Anstatt auf Schmerz als Auslöser für Wandel zu warten gilt es, Räume zu schaffen, in denen bestehende Routinen und Selbstverständlichkeiten irritiert werden dürfen. Räume, in denen Fragen erlaubt sind, auf die es (noch) keine Antworten gibt. In denen Nichtwissen nicht als Schwäche gilt, sondern als produktiver Zustand und Möglichkeitsraum. Organisationen müssen lernen, Irritation nicht als Störung, sondern als Potenzial zu begreifen. Es geht nicht darum, permanent in der Unsicherheit zu verharren, sondern Unsicherheit temporär zuzulassen, ohne sie sofort aufzulösen. Nicht alles muss harmonisiert werden. Nicht jede Spannung braucht eine Lösung.
Dieser Ansatz ist keine Wohlfühlstrategie, sondern strukturelles Risikomanagement. Veränderung ist kein Projekt mit Start und Ziel, sondern ein permanenter Prozess der Selbstbeobachtung. Es geht darum, Bedingungen zu schaffen, unter denen das System lernfähig bleibt, nicht trotz, sondern wegen der Irritation. Denn Veränderung ist kein Ziel. Sie ist ein Symptom. Ein Zeichen dafür, dass sich das System an veränderte Umwelten anpassen muss. Nicht aus Schmerz. Sondern aus Relevanz. Nicht: “Was wäre schöner?” Sondern: “Was ist nicht mehr tragfähig?”
No Pain, No Change, oder was?
Der Satz “No Pain, No Change” ist nicht einfach falsch. Er ist gefährlich verkürzt. Die Idee, dass Veränderung nur dann möglich ist, wenn es weh tut, reduziert einen viel komplexeren Prozess auf ein simplifiziertes Dogma. Ja, ohne Druck gibt es selten Bewegung. Druck, in Form von Herausforderungen, Spannungen oder Widersprüchen ist ein wichtiger Katalysator für Veränderung. Aber Druck ist nicht gleich Richtung. Schmerz ist kein Lehrer, sondern ein Alarmsignal. Schmerz zeigt uns, dass etwas nicht funktioniert, dass wir in Gefahr sind oder dass das System an seine Grenzen stößt. Aber er sagt uns nicht, was wir stattdessen tun sollen. Viel zu oft konzentrieren wir uns darauf, den Schmerz zu bekämpfen, anstatt uns die zugrunde liegenden Strukturen anzusehen, die den Schmerz überhaupt erst verursachen. Die entscheidendere Frage lautet daher: “Wann wird Schmerz zur produktiven Irritation und wann nicht?”
Schmerz ist nur dann produktiv, wenn er als Irritation verstanden wird, die dazu anregt, bestehende Annahmen zu hinterfragen und neue Perspektiven einzunehmen. Irritation ist nicht das Ziel, sondern der Katalysator für Veränderung. Dann gibt es die Frage: “Wie schaffen wir Systeme, die lernen, bevor sie leiden?” Wie können wir Rahmenbedingungen schaffen, in der Organisationen nicht erst auf Krisen oder Schmerz reagieren, sondern proaktiv auf die Unzulänglichkeiten in ihren Strukturen eingehen? Die Antwort darauf liegt nicht in psychologischer Sicherheit und auch nicht in Feelgood-Rhetorik. Es geht nicht darum, Schmerz zu vermeiden oder in einer Wohlfühlzone zu verbleiben. Die Antwort liegt in der Fähigkeit, Widersprüche zu erkennen, ohne sie reflexhaft zu lösen. Es geht darum, Nichtwissen zuzulassen und den Mut zu entwickeln, Ambivalenzen zu halten. Es geht darum, Ideale nicht zu predigen, sondern sie mit realen, oft unangenehmen Problemen zu koppeln, die an den Wurzeln der Organisation ansetzen.
Organisationen entwickeln sich nicht durch gute Vorsätze, die mit viel positiver Rhetorik unterlegt sind. Veränderung geschieht nicht, weil wir sie “schönreden” oder das Unbequeme aus dem Weg räumen. Sie entwickeln sich durch gut irritierte Realität, die die Organisation dazu zwingt, sich selbst zu hinterfragen und strukturelle und kulturelle Normen zu überdenken.
Veränderung entsteht durch Relevanz
Dieser Text beschließt eine Serie und öffnet den Blick auf das, was dazwischen liegt:
- Zwischen Bewegung und Entwicklung.
- Zwischen Wunsch und Wirklichkeit.
- Zwischen dem Schmerz, den wir vermeiden und dem, den wir nicht brauchen.
Denn auch wenn Organisationen sich häufig erst verändern, wenn der Druck hoch genug ist, braucht Veränderung nicht Schmerz, sondern Resonanz. Und Resonanz entsteht nicht durch Katastrophen, sondern durch Bedeutungsverluste. Wenn das, was einmal funktionierte, nicht mehr trägt. Wenn die gewohnte Logik keine Anschlussfähigkeit mehr erzeugt.
Wo Irritation zum Motor wird
Veränderung beginnt selten mit einem Plan, sondern oft mit einem unvorhergesehenen Stolpern. Nicht nur durch äußeren Zwang, sondern auch durch innere Widersprüche. Hier sieben typische Stellen, an denen Organisationen beginnen, sich selbst infrage zu stellen:
- Routinen, die ins Leere laufen
Abläufe werden weitergeführt, obwohl ihr ursprünglicher Zweck nicht mehr greift. Das System ist beschäftigt aber nicht wirksam.
Beispiel: Ein wöchentliches Jour Fixe dauert zwei Stunden, obwohl niemand mehr echte Themen einbringt. Der Austausch wirkt ritualisiert statt relevant. - Erfolge, die sich nicht mehr erklären lassen
Plötzlich wirken Maßnahmen nicht mehr, obwohl sie früher funktioniert haben. Erfolg verliert seine Anschlussfähigkeit.
Beispiel: Eine Recruiting-Kampagne bringt keine Bewerbungen mehr, obwohl sie vor einem Jahr noch als Good Practice galt. Das Umfeld hat sich verändert, die Organisation aber nicht. - Ziele, die einander widersprechen
Unvereinbare Anforderungen erzeugen Spannungen. Wenn alles gleichzeitig wichtiger wird, verliert das System seine Orientierung.
Beispiel: Die Geschäftsleitung fordert mehr Tempo und Innovationsfreude und sanktioniert gleichzeitig jede Abweichung von Prozessen. - Kommunikation, die keine Wirkung entfaltet
Botschaften verpuffen, weil sie nicht anschlussfähig sind. Sie lösen weder Resonanz noch Reibung aus.
Beispiel: Die Führung spricht von “Vertrauen und Selbstverantwortung” und führt im selben Atemzug eine neue Berichtspflicht ein. Die Botschaft verliert Glaubwürdigkeit. - Themen, über die viel gesprochen wird, die aber ohne Konsequenz bleiben
Wenn Probleme immer wieder angesprochen, aber nie bearbeitet werden, entstehen Zynismus und Resignation.
Beispiel: Seit Jahren ist bekannt, dass eine bestimmte Abteilung überlastet ist. Das wird regelmäßig diskutiert, geändert hat sich nichts. - Themen, über die niemand spricht, obwohl alle sie erleben
Unausgesprochenes erzeugt Spannung. Tabus blockieren kollektive Lernprozesse.
Beispiel: Ein zentraler Führungskopf ist demotiviert und übergriffig aber niemand adressiert es offen, weil die Person als “unantastbar” gilt. - Erwartungen, die nicht mehr erfüllbar sind, aber nicht neu verhandelt werden
Die Realität verändert sich und die Erwartungen bleiben gleich. Was gestern möglich war, wird heute zum Druckmittel.
Beispiel: Ein Team soll die gleiche Qualität liefern wie vor drei Jahren aber mit halb so vielen Ressourcen. Die Ansprüche werden nicht an die Bedingungen angepasst.
Diese Bruchstellen sind mehr als unliebsame Störungen. Sie sind Signale. Wer sie erkennt, findet Ansatzpunkte für echte Veränderung durch Wahrnehmung und Bedeutung, statt durch Aktionismus.
Impulse zur Selbstbeobachtung
Veränderung beginnt nicht mit Lösungen. Sondern mit den Fragen. Mit dem Engagement, sowohl individuell auf sich, gemeinsam im Team und in der Organisation genau hinzuschauen. Einige dieser Fragen könnten sein:
Individuum
- Welche Widersprüche spüre ich, spreche sie aber nicht aus?
- Wo handle ich gegen mein besseres Wissen aus Gewohnheit oder Anpassung?
- Welche Fragen vermeide ich, weil ich ihre Konsequenz fürchte?
Team
- Welche Spannungen haben wir normalisiert, obwohl sie uns oder andere blockieren?
- Wo reden wir viel, ohne dass das eine Wirkung hätte?
- Welche Routinen verteidigen wir, obwohl sie uns behindern?
Organisation
- Welche Probleme haben wir integriert, ohne sie zu lösen (weil man das halt so macht)?
- Wo verhindern Strukturen, dass Irritationen sichtbar werden?
- Welche Leitbilder sind kulturell erwünscht aber strukturell folgenlos?
Veränderung beginnt mit Wahrnehmung und nicht mit Aktion. Veränderung ist kein Projekt. Sie beginnt dort, wo ein System beginnt, sich selbst anders zu sehen. Nicht im Krisenmodus. Sondern in der frühen Reflexion. Veränderung und Entwicklung passieren nicht erst, wenn der Schmerz groß genug ist, sondern wenn das bisher Bekannte nicht mehr funktioniert.
(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)