In den ersten beiden Teilen haben wir zum einen darüber gesprochen, warum Führung oft missverstanden wird. Wir haben beleuchtet, dass Führungskräfte nicht nur Täter oder Opfer sind, sondern oft in systemischen Zwängen stecken und von Teamdynamiken beeinflusst werden. Doch damit ist die Debatte nicht zu Ende, denn Führungskräfte sind nicht machtlos.
Menschen in Führungsrollen haben mehr Einfluss, als sie oft denken. Die entscheidende Frage ist also nicht, ob sie „nett“ oder „hart“ sein sollen, sondern wie sie ihre Organisationen so gestalten, dass gute Führung überhaupt möglich ist. Hier sind ein paar vielleicht ungewöhnliche, aber wirksame Ansätze für Führung, die etwas verändern will.
Gestalte sinnvolle Reibung
Viele Menschen in Führungsrollen denken, die Zufriedenheit der Mitarbeitenden sei ihr Job. Doch Zufriedenheit ist nicht nur ein schwaches, sondern sogar ein potenziell gefährliches Ziel. Denn Zufriedenheit kann auch entstehen, wenn niemand gefordert wird, wenn keine Entwicklung stattfindet, wenn alles immer bleibt, wie es ist. Das Ergebnis dieser Zufriedenheit wäre Stagnation. Dabei ist Veränderungsfähigkeit zunehmend notwendiger. Die bessere Frage ist, wo und wie und welche Art von Reibung dazu führt, dass Menschen wachsen und sich weiterentwickeln?
- Führungsverantwortliche sollten Konflikte nicht vermeiden, sondern den Rahmen für konstruktive Konflikte gestalten. Eine zu harmoniesüchtig Organisation verliert Innovationskraft.
Beispiel: Statt endlose Konsensrunden zu moderieren, könnten bewusst unterschiedliche Perspektiven in einen Raum zusammen gebracht werden, in dem sich Mitarbeitende durch einen offenen, kritischen und respektvollen Austausch gegenseitig fordern. - Nicht jede Unzufriedenheit ist schlecht. Menschen sind oft erst frustriert, bevor sie sich verändern. Führung heißt, diesen Moment nicht mit Trostpflastern zuzudecken, sondern bewusst zu gestalten.
Beispiel: Wenn ein Team mit einer veralteten Technologie unzufrieden ist, könnte diese Unzufriedenheit genutzt werden, um Veränderung zu initiieren, statt Beschwerden einfach abzuwimmeln oder unter den Teppich zu kehren. - Produktive Spannung statt zerstörerischer Konflikte: Wer es allen recht machen will, erstickt jegliche Dynamik. Führung heißt, Widersprüche aushalten und Organisation in Bewegung bringen.
Beispiel: Statt einen meist niemanden zufrieden stellenden Kompromiss zu erzwingen, könnten die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen offengelegt und nach einer Lösung gesucht werden, die mehrere Seiten berücksichtigt, ohne sie zu verwässern.
Autorität sichtbar machen
Es gibt ein großes Missverständnis in der Diskussion um modernen Führung. Die Idee, dass Autorität einfach abgeschafft oder verteilt werden kann. Das ist naiv. Autorität ist immer da. Die Frage ist nur, ob sie sichtbar und verhandelbar ist, oder verdeckt und damit nicht steuerbar.
- Verdeckte Hierarchien sind schlimmer als explizite. Wenn „jeder mitreden darf“, aber am Ende doch eine kleine informelle Gruppe hinter verschlossener Tür entscheidet, ist das problematischer, als eine klare Führungsstruktur.
Beispiel: In einem Team, in dem die „alten Hasen“ informell die Entscheidungen treffen, während neue Mitarbeitende ignoriert werden, könnten bewusst die Beiträge der Neuen gefördert und die informellen Machtstrukturen aufgebrochen werden. - Gute Führung bedeutet, Verantwortung nicht zu verwässern, sondern sie bewusst zu übernehmen. Wer Entscheidungen immer an „die Gruppe“ zurückgibt, zerstört Vertrauen, weil niemand mehr weiß, was Sache ist.
Beispiel: Statt eine schwierige Entscheidung an das Team zu delegieren, um sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen, könnte die Entscheidung selbst getroffen und Gründe und Überlegungen dafür dargelegt werden. - Führungskräfte sollten sich fragen: Wo gibt es in meinem Team unsichtbare Machtstrukturen? Wo wird Einfluss ausgeübt, ohne dass es transparent ist?
Beispiel: Werden bestimmte Teammitglieder in Meetings immer übergangen? Werden Entscheidungen in informellen Gesprächen vorbesprochen, so dass formelle Diskussionen zur Farce werden?
Ein modernes Führungsverständnis heißt nicht, dass niemand mehr entscheidet, dass alles in Gruppen besprochen und zum Konsens geführt wird. Es heißt, dass Entscheidungen klar, nachvollziehbar und verhandelbar sind.
Kluge Gestaltung
Viele Führungskräfte fühlen sich überfordert, weil sie denken, sie müssten alle wichtigen Entscheidungen selbst treffen. Die Wahrheit ist, dass wirksame Führung das System so gestaltet, dass viele Entscheidungen gar nicht mehr bei einer führungsverantwortlichen Person alleine liegen. Das reduziert den Entscheidungsdruck bei Einzelnen.
- Nutze Prinzipien statt Mikro-Management: Statt jede Einzelfrage zu regeln, sollte Führung dafür sorgen, dass Prinzipien und Leitplanken klar sind.
Beispiel: Statt jeden Urlaubsantrag einzeln zu genehmigen, könnten klare Kriterien festgelegt werden, unter denen ein Urlaubsantrag genehmigt wird. So kann dem Team die Entscheidung überlassen werden und es gibt gleichzeitig eine Sicherheit, dass gute Entscheidungen entlang der Prinzipien getroffen werden. - Struktur schlägt Charisma: Auch wenn es gerade in Komplexität immer wichtig ist, wer etwas tut, sollte eine Organisation nicht von der „Genialität“ Einzelner (Führungskräfte) abhängen. Klug designte Prozesse und Regeln ermöglichen es, dass Dinge funktionieren, auch wenn die führungsverantwortliche Person gerade nicht verfügbar ist.
Beispiel: Statt sich auf das improvisatorische Talent einzelner Mitarbeitenden zu verlassen, könnten standardisierte Prozesse für wichtige und immer gleiche Aufgaben entwickelt werden. Das gibt in manchen Bereichen Verlässlichkeit, auch wenn der „Star“ nicht da ist. - Teams brauchen Klarheit, nicht ständige Diskussion: Wer sich in einer Führungsrolle scheut, klare Rahmen zu setzen, erzeugt große Unsicherheit.
Beispiel: Statt ein Projektteam ohne klare Zielvorgaben und Verantwortlichkeiten loszuschicken, könnten vorab klare Ziele definiert, Verantwortlichkeiten geklärt und Regeln für Kommunikation erstellt werden.
Führung bedeutet nicht, alles zu kontrollieren. Führung bedeutet, das Spielfeld so zu gestalten, dass das Spiel auch ohne Kontrolle und ständige Interventionen funktioniert.
Agilität ist keine Ausrede für Führungsversagen
Einige Personen in Führungsverantwortung verwechseln moderne Arbeitsweisen mit einem Freibrief zur Verantwortungslosigkeit. Wie oft habe ich gehört: „Wir sind agil, also sollen die Teams das selbst lösen“. Das ist keine Strategie sondern Flucht vor (manchmal vielleicht unbequemen) Entscheidungen.
Andere sind auch einfach nur verunsichert, weil sie nicht wissen, was sie noch entscheiden dürfen und sich nicht trauen, in Führung zu gehen. Dann fallen Sätze wie: „Das darf ich nicht entscheiden, das Team ist doch selbstorganisiert“.
- Agile Teams brauchen starke Führung. Nicht im Sinne von Durchregieren, sondern im Sinne von Klarheit, Priorisierung, Schutz vor Chaos und Handlungsfähigkeit im Fall der Fälle. Diese Führung kann teilweise im Team und teilweise außerhalb des Teams für das Team gestaltet sein.
Beispiel: Eine Person in einer Führungsrolle könnte ein Team unterstützen, die Team-Ziele zu erreichen, anstatt dem Team jeden Schritt und damit einen konkreten Plan vorzugeben. Sie stellt sicher, dass das Team die notwendigen Ressourcen hat und rechtzeitig relevante Entscheidungen trifft, um erfolgreich zu sein. - Selbstorganisation funktioniert nur, wenn es einen Rahmen gibt. Ohne klare Erwartungen und Entscheidungsmechanismen endet sie im Machtvakuum.
Beispiel: In einem selbstorganisierten Team könnte eine Führungsrolle sicherstellen, dass klare Rollen und Verantwortlichkeiten definiert werden. Dann weiß jedes Teammitglied, was von ihr oder ihm erwartet wird. Sie könnte auch einen Prozess für Entscheidungsfindung festlegen, damit Entscheidungen effizient und transparent getroffen werden können. - Gute Führung in agilen Strukturen bedeutet: Nicht alles an das Team zurückspielen, sondern bewusst gestalten, wo Entscheidungen getroffen werden und wer wofür verantwortlich ist.
Beispiel: Statt dem Team die Entscheidung zu überlassen, welches Projekt als nächstes angegangen werden soll, könnten die strategischen Prioritäten des Unternehmens vorgeben werden, um das Team dann entscheiden zu lassen, wie diese Prioritäten am besten umgesetzt werden können.
Agilität ist kein Synonym für Führungslosigkeit. Gute Führung macht sich nicht unsichtbar. Sie hält sich auch nicht im Hintergrund. Sie macht sich und Zusammenarbeit klarer.
Eigenes Führungsnarrativ reflektieren
Ein großer Hebel liegt in der Frage, welche Geschichte du dir selbst über Führung erzählst. Viele Menschen mit Führungsverantwortung verfallen in eine von zwei problematischen Erzählungen:
- „Ich muss es allen recht machen“
Das führt zu Unverbindlichkeit und mündet nicht selten in Entscheidungsangst. - „Ich muss mich gegen alle durchsetzen“
Das führt zu Kontrollwahn und erzeugt in der Regel hohen Widerstand.
Beides ist eine Sackgasse. Die besseren Fragen sind:
- Wie kann ich Klarheit schaffen, ohne autoritär zu sein?
- Wie kann ich Widerstände als Teil des Prozesses verstehen und nutzen, statt sie als Angriff zu sehen?
- Wie kann ich so führen, dass es der Organisation dient und nicht meinem Ego, meiner Angst oder meinen alten Mustern?
Konkrete Schritte:
- Reflektiere regelmäßig über deine eigenen Verhaltensweisen und Entscheidungen. Vielleicht hilft sogar ein Führungstagebuch.
- Frage Kolleg:innen, Mitarbeitende und Vorgesetzte immer wieder nach Rückmeldung.
- Hinterfrage deine Annahmen: Warum glaube ich vielleicht, dass ich (immer) Recht haben muss? Warum fällt es mir schwer, Entscheidungen zu delegieren? Warum treffe ich keine Entscheidungen? Warum gehe ich nicht in Konflikte?
Führung bedeutet Gestaltung
Führung ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn sie schlecht gestaltet ist. Führung bedeutet Gestaltung oder sie ist keine Führung. Gestaltende Führung erzeugt Veränderung und Veränderung erzeugt Widerstände, Kritik und Widerstände. Das hat nichts zu tun mit der häufigen Zuschreibung, bestimmte Führung sei toxisch. Wer in Führung ist, muss sich mit Veränderung beschäftigen und sollte sich nicht fragen: „Wie bekomme ich mehr Zustimmung?“, oder „Wie wirke ich nicht toxisch?“, sondern: „Wie gestalte ich die Rahmenbedingungen so, dass gute Zusammenarbeit möglich wird?“ Konkret bedeutet das:
- Nicht für ständige Harmonie sorgen, sondern produktive Spannung erzeugen.
- Nicht Macht abschaffen, sondern sie sichtbar und damit gestaltbar machen.
- Nicht alles selbst entscheiden, sondern Strukturen so gestalten, dass Teams kluge Entscheidungen treffen können.
Moderne Führung ist nicht weichgespült sondern klar. Sie ist nicht machtlos, sie ist bewusst. Und sie ist nicht beliebig, sie verändert und ist gestaltend.
Deine nächste Schritte:
Hier vier Ideen, was du direkt tun kannst, um nächste Schritte zu gehen:
- Identifiziere eine „Reibungszone“ in deinem Team oder deiner Organisation, die du bewusst gestalten willst.
- Analysiere unsichtbare Machtstrukturen in deinem Verantwortungsbereich, mache sie sichtbare und gestalte sie.
- Überprüfe, welche Entscheidungen du unnötigerweise selbst triffst und wie du sie an (d)ein Team delegieren kannst.
- Hinterfrage dein eigenes Führungsnarrativ: Welche Geschichte erzählst du dir über Führung?
Führung ist kein Beliebtheitswettbewerb. Führung war und ist eine herausfordernde Aufgabe, eine große Verantwortung und dabei eine riesige Chance, mit guter Gestaltung eine produktive Arbeitsumgebung und großartigen Kundennutzen zu ermöglichen.
(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)