Agilität! New Work! Purpose! Ein Buzzword-Bingo später stehen wir in vielen Organisationen vor dem gleichen Bild. Scrum-Boards an der Wand, Homeoffice im Vertrag, ein Kicker im Pausenraum. Trotzdem fühlt es sich an, wie 1998, nur jetzt mit Slack-Account.
Man trifft sich weniger, weil sich viele lieber aus dem Homeoffice oder aus einem hippen Coworking-Space aus einem anderen Teil der Welt dazu schalten. Und wirklich „agil“ oder nach „New Work“ fühlt es sich überhaupt nicht an. Was ist da passiert?
Warum gute Ideen baden gehen
In diesem Artikel gehen wir der Frage auf den Grund, warum so viele gute Ideen rund um neue Arbeitswelten scheitern, warum das nichts mit schlechter Absicht, aber viel mit Systemlogik und ein bisschen was mit Psychologie zu tun hat. Und wir betrachten, was du aus einer Führungsrolle, aus der Organisationsentwicklung oder dem HR-Bereich ganz konkret daraus oder damit machen kannst.
Warum gute Ideen nicht reichen
Ja, die Ideen waren gut. Und nicht nur das. Die Umsetzung war auch gut. Das Ergebnis, das war eher so mittel. Wir erinnern uns an die ehrenwerten Ziele von New Work oder Agile. Arbeit soll sinnvoll sein. Menschen sollen sich entfalten. Teams sollen selbstorganisiert entscheiden. Führung soll nicht kontrollieren, sondern befähigen. Das alles klingt super, oder?
Das Problem ist, dass Ideen dieser Art von Organisationen nicht einfach so umgesetzt werden, dass Veränderungen in diese Richtung nicht so ganz zu klappen scheinen. Sie bleiben aber auch nicht auf der Strecke oder werden abgelehnt. Stattdessen werden sie vereinnahmt. Was mal als Veränderungsvorhaben und als emanzipatorischer Impuls beginnt, wird in der Organisation zur Methode, zum Rollout, zum KPI. Agilität wurde zu Agile und zur Projektmanagement-Methode. New Work wurde zum Employer Branding. Und Purpose wurde zur Marketingkampagne.
Und plötzlich ist nichts mehr übrig vom ursprünglichen Spirit, der revolutionären Idee. Was bleibt sind Frameworks mit Zettelwirtschaft und einem Agile Coach, der verzweifelt versucht, Retrospektiven lebendig zu halten und irgendwie Veränderung zum Besseren zu bewirken.
Die große Frage ist, warum das immer wieder passiert. Wenn wir das doch immer und immer wieder sehen oder erleben, warum klappt die gewünschte Veränderung so selten? Natürlich ist das weder eine Verschwörung, noch böse Absicht Einzelner. Es ist kein Komplott der Führungsriege. Es ist Logik des Systems.
Eine Antwort
Geld redet. Und zwar in nur zwei Worten: Zahlen oder nicht. Nach Niklas Luhmann funktioniert die Wirtschaft wie ein eigenes Kommunikationssystem, das nur eine Sprache kennt: Zahlung oder Nicht-Zahlung. Alles, was wirtschaftlich zählt, wird über diesen ganz einfachen und binären Code ausgedrückt. Geld ist das Medium, das diese Kommunikation möglich macht. Wir nehmen Geld an, weil wir erwarten, es später wieder einsetzen zu können. Jede Zahlung verweist auf die nächste, wie ein stilles Versprechen, das nur gilt, solange alle mitspielen.
Für Unternehmen in unserem Wirtschaftssystem ist existenziell, dass sie in dieser Sprache anschlussfähig bleiben. Einfach ausgedrückt: Wer nicht zahlt oder nicht bezahlt wird, fällt raus. Diese Unternehmen können nicht überleben. Selbst die beste Vision, das sinnvollste Produkt oder der menschlichste Führungsstil müssen am Ende „zahlungsfähig“ übersetzt werden, sonst verlieren sie Anschluss ans wirtschaftliche System. Wirtschaftlicher Erfolg entsteht also nicht automatisch durch Sinn, sondern durch funktionierende Anschlusskommunikation im Medium Geld. Einfach übersetzt: Produkte, Services und Dienstleistungen müssen einen irgendwie gearteten Nutzen bringen, damit das investierte Geld durch Verkauf wieder mindestens kostendeckend erwirtschaftet wird.
Wenn ein Unternehmen auf Effizienz, Leistung und Wirtschaftlichkeit ausgelegt ist, dann wird alles Neue nicht auf seine ethische Tiefe, moralische Anschlussfähigkeit oder vielleicht in Zukunft erfolgreiche Vision geprüft, sondern auf seine Anschlussfähigkeit. Hat es „Sinn“ in der Sprache, die die Organisation spricht?
- Agilität? Klingt gut. Macht es uns schneller? Dann nehmen wir das und integrieren es.
- New Work? Nett. Bleiben die Leute dann länger? Gut, her damit, das hilft uns.
- Sinn? Hilft das dem Employer Branding? Machen wir doch ein Event draus, dann bekommen wir die Besten.
Kurz gesagt werden neue Ideen geprüft, ob sie ins System passen und dann als unpassend abgestoßen, oder bestenfalls als passend in das bestehende System integriert, ohne es wirklich zu verändern.
Noch eine Antwort
Klingt gut, das System ist Schuld. Das ist Meistens so, aber wir tragen als Menschen auch unseren Anteil. Denn es liegt nicht nur am System, sondern auch an uns. Allerdings sind das weniger schlecht entscheidende Führungskräfte, sondern generell psychologische Fallen, die innovative Ideen verhindern.
- Verlustaversion: Menschen fürchten Verluste stärker, als sich über Gewinne zu freuen. Veränderung bedroht Bekanntes, Routinen, Kontrolle, Macht. Selbst wenn wir uns sicher sind, dass es besser werden könnte, halten wir lieber am Schlechten fest, das wir kennen.
- Ambiguitätsintoleranz: Ideen wie „Sinn“, „Vertrauen“, „Agilität“ oder „Selbstorganisation“ klingen klar und einfach, sind aber mehrdeutig. Sie lassen sich nicht exakt definieren und das strengt an. In der Folge machen wir aus komplexen Ideen einfache Tools, um das Unklare verständlich und kontrollierbar zu bekommen. Das Ergebnis sind vereinfachte Methoden und Tools, die der Mehrdeutigkeit komplexer Ideen nicht mehr gerecht werden.
- Der Wunsch nach sofortigem Effekt: Die Umsetzung von New Work Ideen oder Veränderungen auf Basis agiler Werte und Prinzipien bringen keinen unmittelbaren „Return on Invest“. Beides braucht Zeit, Reibung, Reflexion. Wir sind aber auf kurzfristige Wirksamkeit ausgerichtet. Das gilt für Führung, für Organisationen, für Menschen. Wir optimieren also schnell was wir kurzfristig überblicken und glauben steuern zu können und übersehen dabei das Wesentliche der eigentlichen Veränderungen.
Idealismus trifft Realität
Wenn Idealismus auf ein System trifft, kommt es schnell zur Verwässerung. Hierbei passiert meistens eines von drei Dingen:
- Die Idee wird instrumentalisiert: Das, was aus den neuen Ideen passt, wir genutzt. Frei nach dem Motto: „Agilität ist super, weil es klar Verantwortliche gibt und es uns schneller macht, ihr müsst nur das bestehende Budget und den geforderten Umfang mit der erwarteten Qualität „liefern“.
- Die Idee wird trivialisiert: Die Komplexität neuer Ideen wird selten ganz erfasst und schon gar nicht ganz umgesetzt, sondern deutlich vereinfacht: „Wir machen jetzt New Work! Wir haben Homeoffice, Duzen uns, haben Tischkicker und freitags gibt es immer für alle Pizza.“
- Die Idee wird ritualisiert: Ohne über die Details der neuen Ideen ein Verständnis zu entwickeln, werden einfach greifbare Teile davon zum Ritual. „Jede Woche ein Stand-up. Warum? Weil das halt so ist.“
Natürlich sind das alles keine bösen Absichten, manchmal vielleicht sogar keine bewussten Entscheidungen. Es ist eher ein unbewusster oder bewusster Ausdruck von Überforderung mit dem eigentlichen Kern der Idee, nämlich der grundlegenden Veränderung, die idealistische Ideen mit sich bringen. Es wird Unkontrollierbarer. Und die daraus entstehende Unsicherheit ist durch und durch menschlich.
Die Lösung: Ein anderes Vorgehen
Das klingt jetzt alles danach, dass Veränderung nahezu unmöglich ist. Unsere Menschlichkeit und Systemregeln verhindern zu sehr. Ganz so ist es allerdings nicht. Natürlich ist Veränderung möglich, aber vielleicht etwas anders, als wir das bisher denken. Wie kann man also gute Ideen davor schützen, zu verwässern?
- Hör auf, sie retten zu wollen: Ideen wie Agilität oder New Work sind keine Rezepte. Sie sind Einladungen zum Denken und zum Dialog. Wenn sie dogmatisiert werden, haben sie keine Chance und haben bereits verloren.
- Geh vom Ideal zur Irritation: Pauschal alles ändern zu wollen, wird keinen Erfolg haben. Statt „Wir machen jetzt alles anders“ ist es erfolgsversprechender, vom Schmerzpunkt zu starten. Es geht nicht darum, eine moralisch bessere Vision zu verfolgen, sondern sich die Frage zu stellen: „Was stört uns warum an der Art, wie wir arbeiten und wie können wir das anders machen?“.
- Entwickeln statt implementieren: Der Gedanke, New Work oder Agilität implementieren oder ausrollen zu können, geht an der Realität vorbei. Die Frage ist nicht, wie man „Agilität oder New Work einführt“, sondern „Wie entwickeln wir eine Form von (Zusammen-)Arbeit, die zu unserem Kontext passt und dem gerecht wird, was wir erreichen wollen?“
- Lass Widersprüche zu: Die neue Arbeitsweise soll auf Zutrauen setzen, weniger Vorgaben machen und du brauchst trotzdem Kontrolle? Das ist das Leben. Es geht nicht um ein Entweder-oder, sondern darum, das „Dazwischen“ auszuhalten und zu gestalten.
Konkrete Möglichkeiten
Wichtige Rollen bei Veränderung spielen neben Personen in Führungsstrukturen in der Regel Verantwortliche für Organisationsentwicklung und HR-Bereiche. Aus diesen Bereichen können Veränderungsinitiativen besonders unterstützt werden. Dabei geht es weniger um ein plangetriebenes Vorgehen, als um Unterstützung der Dinge, die stattfinden sowie um ein ständiges Orientieren und Ausrichten.
- Führung: Der häufige Anspruch, alles wissen zu müssen um Entscheidungen treffen zu können, ist hier fehl am Platz. Es geht weniger darum zu verstehen, wie Menschen über einzelne Führungskräfte denken. Führung ist weder ein Beliebtheitswettbewerb, noch ein Freifahrtschein. Es geht mehr darum, Richtung zu gestalten, indem gute Fragen gestellt werden. Dazu gehört auch herauszufinden, was von Führung und welche Art von Führung gebraucht wird.
- Organisationsentwicklung: Veränderungsinitiativen sind kein Change-Projekt mit klarem Plan. Es geht darum, das was passiert wahrzunehmen, Dynamiken zu beobachten, zu erkennen, was ohnehin passiert und dann für Veränderung relevante Teile zu verstärken, sie damit in den Fokus zu rücken.
- HR: Es ist nicht hilfreich, Agilität oder New Work oder damit zusammenhängende vermeintliche Reifegrade zu messen. Aufgabe ist, alle Menschen der Organisation dabei zu unterstützen, dass sie gut mit Widersprüchen umgehen können und generell kontinuierliches Lernen zu einer ihrer Aufgaben machen. Es geht um den Auf- und Ausbau von Lern- und Dialog- beziehungsweise Diskursformaten und um Vernetzung zum Austausch zu möglichen Irritationen.
Es liegt an uns
Die Ideen hinter Agilität und New Work sind nicht generell gescheitert. Manche dieser Ideen sind zutiefst menschlich und natürlich. Manche dieser Ideen gibt es schon viel länger und sie haben erst durch Agilität oder New Work an Sichtbarkeit gewonnen. Es sind formulierte und dabei nicht ganz klar umrissene Ideale oder soziale Utopien und wir versuchen aufgrund psychologischer Faktoren und Systemlogik, die Ideen in bestehende Strukturen zu pressen.
Die Veränderung in Organisationen oder – ganz idealistisch – des Wirtschaftssystems oder der Gesellschaft ist kein Change-Projekt, sondern eine kontinuierliche (Weiter-)Entwicklung. Die Kunst ist es, dabei nicht die eigenen idealen Ideen und Vorstellungen zu verlieren, sondern sie in ein evolutionäres Vorgehen zu überführen. Dabei geht es nicht darum, etwas einzuführen oder auszurollen. Es geht um gute Fragen und echte Auseinandersetzung.
Ausblick
Im nächsten Beitrag gehen wir noch einen Schritt tiefer. Da stellt sich die Frage, warum Organisationen den Idealismus oft gar nicht sehen können, was das genauer mit Systemlogik, Kommunikation und Machtverhältnissen zu tun hat und warum dein Purpose für ein System völlig uninteressant ist. Und natürlich gibt es auch Ideen, was trotzdem getan werden kann.
(Das Bild ist mit Chat GPT generiert.)